Tate Archer – Im Visier des Feindes: Band 1 (German Edition)
sich aufzusetzen, doch seine zitternde Hand rutscht in dem Blut, das sich unter ihm sammelt, weg, und er fällt zurück auf den Sitz. Er macht den Mund zu und beißt die Zähne zusammen, doch ich höre das qualvolle Stöhnen, das er in seiner Kehle zurückhält. Als er wieder Luft holt, sagt er: »Nur sehr wenige kennen die Wahrheit. Die H2 sind entschlossen, ihr Geheimnis zu bewahren. Und es ist fast unmöglich, Menschen von H2 zu unterscheiden.«
Das kann nicht wahr sein. Es ergibt keinen Sinn. Alle meine Argumente purzeln in meinem Kopf durcheinander. »Aber dann … wie konnten sie … wir sind doch keine … das ist nicht …«
»Einige von uns haben die Wahrheit über Generationen hinweg geschützt, obwohl der innerste Führungskreis der H2 jeden Versuch, sie zu enthüllen, unterdrückt oder angezweifelt hat.«
Seine Augen begegnen meinen, und plötzlich weiß ich genau, was er mir da erzählt. Es trifft mich mit der Wucht eines U-Bahn-Zugs und raubt mir den Atem.
»Das ist der Grund dafür, stimmt’s?«, frage ich keuchend, in der Hoffnung, dass er versteht, was ich meine.
Deshalb habe ich jahrelang Geschichte gelernt. Mathe. Naturwissenschaften. Selbstverteidigung. Deshalb stehe ich jeden Morgen um vier Uhr auf. Deshalb treibt er mich tagtäglich dazu an, mehr als das zu tun, was ich für richtig halte. Mehr als das, was ich glaube, erreichen zu können. Es ist nicht, weil er will, dass ich perfekt bin.
Es ist, weil er will, dass ich stark bin.
Er nickt. »Die Archers haben fast vierhundert Jahre lang darum gekämpft, die Beweise dafür, was passiert ist, die echten historischen Aufzeichnungen, zu schützen. Sie haben dafür gekämpft, unsere Spezies zu schützen. Aber es ist noch mehr … mehr als nur das.«
Tropfen fallen auf meine Unterarme und ich schaue mich verwirrt um. Es regnet nicht. Wir befinden uns in einem Auto. Und dann spüre ich, dass mir Tränen über das Gesicht strömen. Ich bin mir nicht sicher, wann ich aufgehört habe zu lachen und angefangen habe zu weinen, und ich bin mir auch nicht sicher, ob das von Bedeutung ist. Ich greife nach der Hand meines Vaters, und er lässt zu, dass ich sie halte. Denn zum ersten Mal seit Gott weiß wann bin ich sein Junge, und er ist mein Dad, und ich frage mich, wie wir das verloren haben. Ich drücke seine Finger, und er zuckt kurz zusammen, doch er beklagt sich nicht.
All diese Jahre habe ich ihm gegrollt. Ihm getrotzt. Hinter seinem Rücken herumgeschnüffelt. Ihn sogar gehasst. Und er hat es alles ertragen, geduldig, ungerührt. Wie eine Steinmauer, gegen die ich meinen Kopf geschlagen habe, er hat sich nie von seinem Ziel abbringen lassen – um mich auf diesen Moment vorzubereiten.
Und ich bin nicht bereit. Ich bin nur ich. Ich bin nicht er.
»Ich weiß nicht, was ich machen soll«, flüstere ich. »Ich …«
»Der Scanner.« Er hustet feucht, versprüht winzige Tröpfchen aus Speichel und Blut auf die Vorderseite seines Hemdes. »Als die H2 hier angekommen sind, ist eines ihrer Raumschiffe abgestürzt … Einer unserer Vorfahren hat etwas gefunden … und es geheim gehalten.« Er legt eine kleine Pause ein. Vielleicht muss er Kraft sammeln, um weiterzusprechen. Oder er versucht zu entscheiden, was zu sagen am wichtigsten ist. »Der Scanner ist mit H2-Technologie hergestellt und muss sicher verwahrt werden. Wenn er falsch verwendet wird, würden so viele sterben …«
Eine diffuse Art von Wut lässt mich die Fäuste ballen, als das klebrig-warme Blut meines Vaters, das inzwischen mein ganzes Hemd getränkt hat, mir durch die Finger sickert. »Wieso bekämpfen wir sie nicht? Wie kann es sein, dass sie einfach so die Macht ergreifen dürfen?«
Die Lippen meines Vaters zucken. »Darum geht es nicht. Ein artübergreifender Konflikt würde zu verheerenden Opferzahlen führen. Der Scanner sollte dem Einhalt gebieten, nicht der Grund dafür sein.«
Eine Alienrasse ist auf der Erde einmarschiert, lebt unter uns und hat anscheinend das Sagen. Und ich habe gerade genau das getan, was mein Vater zu verhindern versucht hat: Ich habe seine Erfindung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Tief in meinem Inneren bilden sich Verwerfungslinien. Krater der Angst und der Reue reißen in mir auf. Meine Faust schießt hervor und schlägt immer wieder auf den Sitz ein, sodass Christina schreiend aufschreckt. Doch ich kann mich nicht beherrschen.
»Das ist alles meine Schuld!«, heule ich. Ich will aus dem Wagen springen, damit ich auf dem Asphalt
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