Tate Archer – Im Visier des Feindes: Band 1 (German Edition)
ihn mit drei verschiedenen Kicks aus dem Gleichgewicht, bevor er ihn schließlich plattmacht.
Als das nächste Finale anfängt, schreibe ich Christina eine SMS mit der Bitte, mich abzuholen. Sie braucht mindestens eine Stunde aus New York City, ich muss ihr also Zeit geben. Innerhalb einer Minute antwortet sie mir: Bin unterwegs, Baby.
Nachdem ich mir erlaubt habe, eine Minute lang auf diese Worte zu starren, stecke ich das Telefon wieder in die Tasche. Schluss mit dem Zuschauen. Ich muss mich bewegen. Ich muss das in Ordnung bringen. Ein bitterer Geschmack macht sich in meinem Mund breit. In Ordnung bringen. Haha. Wenn es bloß so einfach wäre. Aber ich muss irgendetwas tun, sonst werde ich wirklich noch verrückt.
Ich gehe zu einer Matte hinüber, die abseits des Kampfplatzes liegt und wo einige der anderen Verlierer ihre Wunden versorgen. Einer der Mittelgewichtler scheint Tatendrang zu verspüren, also sparren wir. Und als er müde wird, sparre ich mit einem Typen, der – das schwöre ich – doppelt so viel wiegt wie ich. Und als er müde wird, sparre ich mit einem Leichtgewichtler, den ich beinahe über die Matte schleudere, bevor ich mich auf seinen kleinen Körper eingestellt habe. Immer wieder übe ich, was eben schiefgelaufen ist. Ich übe den Spider Guard, rufe mir ins Gedächtnis, wo genau mich Kuhauges Hände gepackt haben, wie er mich verdreht hat. Ich übe auch, da wieder rauszukommen.
Das wird nicht noch einmal passieren.
Es hätte von vornherein nicht passieren dürfen.
Als die Zuschauermenge am Ende des Turniers in lauten Schlussjubel ausbricht, wird mir klar, dass ich nur noch ungefähr fünf Minuten habe, bis Christina kommt. Ich flitze in die Umkleidekabine und dusche flüchtig, wobei ich mir wünsche, dass sich die Niederlage so einfach wegwaschen ließe wie der Schweiß. Aber nein. Sie ist so hartnäckig wie Fußpilz.
Ich trockne mich ab, ziehe mir Jogginghose und T-Shirt an und stehe schließlich draußen, um nach Christina Ausschau zu halten. Ihr kleines rotes Auto ist meine Rettungsinsel, und als ich es in der langen Schlange von Fahrzeugen entdecke, warte ich nicht, sondern jogge darauf zu.
Sie sieht mich kommen und lässt ihren Kofferraum aufspringen, dann hält sie mir die Beifahrertür auf. Ich kann ihre Girlie-Musik aus dem Fahrzeuginneren hören und muss lächeln, obwohl das Gedudel eigentlich nicht mein Fall ist. Wenn diese Musik einen Geschmack hätte, dann wäre es der von Kirschlutschern – und deshalb mag ich sie irgendwie doch. Denn als Christina sich rüberbeugt und mich küsst, da fällt mir wieder ein, dass sie so schmeckt.
»Wie ist es gelaufen?«, fragt sie, während sie die Musik leiser dreht. Sie wirft ihr langes dunkelblondes Haar zurück.
Ich seufze und lasse mich in den Schalensitz fallen. Sie hat ihn extra für mich ganz nach hinten geschoben, damit ich genug Platz für meine Beine habe. Ich nehme ihre Hand und fahre mit dem Daumen über ihre weiche Haut. »Können wir einfach nach Hause fahren? Es war ein langer Tag.«
Sie sieht mich ein paar Sekunden an. Das ist okay. Es macht mir nichts aus. Ich will, dass ihre Blicke ständig an mir kleben. Sie streckt sich und gleitet mit ihren Fingern durch meine Haare, und ich schließe die Augen und atme, atme das Gewicht des Tages aus.
»Soll ich dir einfach ein bisschen dummes Zeug erzählen?«, fragt sie.
»Ja«, sage ich und lehne mich in ihre Berührung hinein. »Ein bisschen dummes Zeug tut mir jetzt gut.«
Ihre Hand verschwindet.
Als sie losfährt, sagt Christina: »Lisa hat beschlossen, ihrem Hund Dreadlocks zu verpassen. Ich habe ihr dabei geholfen, obwohl ich mir ziemlich sicher bin, dass das Tierquälerei ist.«
»Was für eine Scheißidee! Hat sie nicht einen Pudel?«
»Mh-mh. Aber ihr Dad meinte, er hätte es satt, für die Fellpflege zu bezahlen.«
Ich mache die Augen auf und mein Blick gleitet von lackierten Zehennägeln über glatte, schön geformte Beine bis hin zu … O Mann, ich wünschte wirklich, wir würden uns nicht gerade in einem fahrenden Auto befinden.
Sie plappert noch ein paar Minuten über das schiefgegangene Dreadlocks-Experiment und wie sie am Ende doch alle beim Hundefriseur gelandet sind und um einen Haarschnitt und ein Hundeberuhigungsmittel gebettelt haben. Ich lasse mich von ihrer Stimme überschwemmen, sie zwischen meine Ohren schwappen, die rauen Stellen beruhigen. So mächtig sie auch ist, kann sie dennoch die Angst nicht vertreiben, die mir in den Schädel kriecht
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