Tate Archer – Im Visier des Feindes: Band 1 (German Edition)
Mittelpunkten. Über seinen Pupillen liegt ein diffuser Glanz.
»Oh, sorry«, sage ich und versuche, nicht hinzustarren.
Ohne ein Wort geht er an mir vorbei.
»Das ist Matthew«, erklärt Esther mit einem liebevollen Lächeln. »Der Sohn von meinem Bruder Timothy. Er ist schüchtern.«
»Sind er und David Brüder?«, fragt meine Mutter.
»Nein, Cousins«, sagt Esther und sieht mich verschmitzt an. »Also … du und Christina, seid ihr verheiratet?« Ihr Blick wandert zu meiner linken Hand.
»Ich bin erst sechzehn«, sage ich, weil … was soll das, verdammt noch mal?
»Dann verlobt«, sagt Esther mit einem wissenden Kopfnicken.
Gerade als ich ihr genau erklären will, was ich davon halte, kommt mir meine Mutter zuvor: »Noch nichts Offizielles. Wir sind noch in Verhandlungen mit den Alexanders.«
Esther verschränkt die Arme über ihrem dicken Bauch und schaut wieder zu mir. Sie mustert mich auf eine Art und Weise, die gewisse Teile von mir verschrumpeln lässt.
»Interessant«, ist alles, was sie sagt. Dann beginnt sie, meiner Mom Fragen über Kathleen McClaren zu stellen, die wohl mal ihre Brieffreundin war, als sie noch Kinder waren. Ich frage mich, wie Kathleen mit Peter McClaren verwandt war, ob sie seine Mutter oder vielleicht seine Tante war. Ob sie jetzt um ihn trauert.
Bis wir die Gästehütte erreichen, bin ich so weit, dass ich am liebsten die Wände hochgehen würde. Es ist schon eine gute Stunde her, dass ich Christina zuletzt gesehen habe. In der Zeit kann längst irgendein Scheiß passiert sein. Sie haben uns hier allein gelassen. Es ist zwar kein Wachtposten zu sehen, aber ich bin trotzdem nicht so blöd anzunehmen, dass sie uns nicht beobachten. Dazu ist Rufus viel zu clever. Selbst wenn er uns vertraut, wird er uns dennoch überwachen lassen.
Das hätte mein Vater auch getan.
Ich glaube, meine Mom denkt dasselbe. Ihre Blicke wandern langsam von Ecke zu Ecke und verweilen auf den Lüftungsschlitzen und Steckdosen.
»Ich muss wissen, wie es Christina geht«, sage ich leise auf Russisch.
Sie hört auf, den Raum zu mustern, und wendet sich mir zu: » Ya znayu. « Ich weiß.
Dann fügt sie hinzu: »Übrigens, Rufus spricht mehr Sprachen als du, also spar dir die Mühe.«
Es klopft an der Tür. Meine Mom öffnet. Ein Mädchen mit einem Stapel gefalteter Kleidung, Handtüchern, Waschlappen und zwei Kulturtaschen steht da. Ich kann gerade noch sehen, wie ihre großen blauen Augen mich über die taumelnde Lieferung hinweg anstarren.
»Hey, lass mich das nehmen«, setze ich an und mache einen Schritt nach vorn, als alles kippt. Die Kulturtaschen und zwei von den Handtüchern fange ich auf, bevor sie auf den Boden fallen, aber der Rest fliegt runter. Etwas Weiches landet auf meinem Kopf, und als ich es runterziehe, sehe ich, dass es ein Paar Oma-Unterhosen sind.
Meine Mom schnappt sich die Unterwäsche und begräbt sie unter einem Haufen von Kleidern, die sie vom Boden aufgehoben hat.
So einen Augenblick will kein Kerl mit seiner Mutter teilen.
Die Überbringerin umklammert mit zitternden Händen ein paar der übrigen Kleidungsstücke. Sie lässt ein kleines Kichern hören und hält Mom die Sachen hin. Wie sie dasteht, mit ihren spindeldürren Armen und der flachen Brust, kann sie nicht älter als zwölf oder dreizehn sein. Sie hat dieselben rötlichen Haare wie die meisten Leute hier und ein herzförmiges Gesicht … und sie sieht Esther sehr ähnlich.
Meine Mutter nimmt die Kleider. »Danke …«
»… Theresa«, ergänzt das Mädchen.
»Danke, Theresa«, sage ich. »Ich könnte es definitiv vertragen, mich ein bisschen zurechtzumachen.«
Wieder kichert sie und beißt sich auf die Lippe.
Ich überlege zweierlei. Erstens: Esther hat ihre präpubertäre Tochter hergeschickt, damit sie mit mir flirtet. Zweitens: Dieses Mädchen kann mir helfen herauszufinden, wo Christina ist.
Also begleite ich Theresa zur Eingangstür der Hütte. Sie ist ein wibbeliges, nervöses Wesen, und ich habe Mitleid mit ihr, weil sie hergeschickt wurde, um an einem seltsamen Spiel teilzunehmen und meine Aufmerksamkeit zu erregen. Ich weiß nicht genau, wieso Esther das tun sollte. Hofft sie etwa, dass ich Christina abserviere und stattdessen ihre Tochter mitnehme? Ein Kind?
Dann schaue ich über das Gelände. Das ist die Größe ihrer Welt, eine achthundert Meter breite Lichtung. Vielleicht ist eine Flucht genau das, was Esther für ihre Tochter will.
Theresa ringt die Hände und tritt von einem Fuß auf
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