Tate Archer – Im Visier des Feindes: Band 1 (German Edition)
letzten Jahren nicht viel miteinander gesprochen«, antwortet sie, die Stimme klein und traurig.
Ich wende den Blick von ihr ab und gebe ihr so die Gelegenheit, sich zu fassen. Ich bin bei diesem Rätsel auf mich selbst gestellt, und jetzt wird mir klar, dass es vielleicht nicht so einfach wird, wie ich gehofft hatte.
Ich seufze erschöpft. »Werden die Bishops mich aufhalten, wenn ich einfach in die Klinik reinspaziere, um Christina zu sehen?«
»Ich denke, es wäre besser, genau das zu tun, als wenn es so aussieht, als ob du herumschnüffelst. Sie sollen ja nicht denken, dass wir irgendetwas zu verbergen haben.«
»Was würden sie machen, wenn sie über sie Bescheid wüssten?«, frage ich zaghaft.
Meine Mutter antwortet nicht direkt. »Wenn ich irgendeine andere Möglichkeit gewusst hätte, Christina zu helfen, dann hätte ich sie nicht hierhergebracht. Und sobald sie stabil ist, gehen wir.« Sie drückt meine Schulter und lässt mich allein.
Ich dusche so schnell wie noch nie und ziehe mir ein schlichtes weißes T-Shirt und Cargoshorts an. Sie müssen diese Sachen in rauen Mengen kaufen. Als ich aus dem Badezimmer schlüpfe, sehe ich, dass Theresa da war und einen kleinen Becher mit Magentabletten sowie einen Zettel mit ein paar Dosierungshinweisen hinterlassen hat. Die Nachricht, in kindlicher schwarzer Schrift auf ein Stück Papier aus einem Schulheft gekrakelt, endet mit: Ich hoffe, mein Kartoffelpüree schmeckt dir!!!
Die Punkte von ihren Ausrufezeichen sind kleine Herzchen.
Während meine Mutter duscht, trete ich aus der Hütte hinaus, um mich am Stand der Sonne zu orientieren. Sie schaut aus den Wolken hervor und steht hoch über der Lichtung, wärmt mir das Gesicht, als ich die Stufen hinuntersteige. Die Nordseite dieses Geländes wird zum Großteil von einem riesigen Garten eingenommen, aus dem Theresa vermutlich ihre Kartoffeln bezieht. Ich laufe über den asphaltierten Gehweg in Richtung Süden, wo ich zu einer großen Ansammlung von Solarmodulen komme, die zwischen den Hütten und Zentralgebäuden angebracht sind. Genug, um mehr als bloß die Lichter in den dreißig – oder wie viel auch immer – Gebäuden hier zu betreiben, zumal wenn man bedenkt, dass auf allen Dächern ebenfalls Module installiert sind. Da unsere Hütte die letzte in der Reihe an der Ostseite der Lichtung ist, muss ich den ganzen Weg entlanglaufen, und das nutze ich voll aus. Ich weiß zwar nie, welche Informationen sich einmal als nützlich erweisen könnten, aber der jahrelange Drill meines Vaters hat dafür gesorgt, dass mir das ständige Beurteilen meiner Umgebung in Fleisch und Blut übergegangen ist.
Die Steuerung für die Solaranlage ist an der Seite des letzten Moduls in der Reihe angebracht. Es handelt sich um einen schlichten Schlüsselzugang. Nicht gerade viele Sicherheitsvorkehrungen. Vermutlich sind ihre Maßnahmen im weiteren Umkreis so heftig, dass auf dem Gelände selbst kein größerer Aufwand erforderlich ist. Wahrscheinlich fressen die Sicherheitsanlagen rund um die Lichtung sämtliche Energie, die mit den Modulen erzeugt wird. Nachdem ich das zur Kenntnis genommen habe, jogge ich über den Gehweg zum Klinikgebäude. Bei jeder Hütte, an der ich vorbeikomme, teilen sich die Vorhänge, nur einen Spaltbreit, aber weit genug, dass ein Augenpaar meinen Weg verfolgen kann. Mit meinen dunklen Haaren und den grauen Augen bin ich leicht als Außenseiter zu erkennen.
Ich brauche nicht lange, um die Klinik zu erreichen. Hinter dem Gebäude, aus dem Wald, erklingen Rufe und Schreie und Spritzer, Geräusche von Jungs, die gerade Jungs sind. Zwischen den Bäumen hindurch sehe ich das Funkeln der Sonne auf dem Wasser. Es muss dahinten einen ordentlichen Teich geben, der diese Lichtung von der kurvenreichen Straße trennt, auf der uns Esther und Timothy hergebracht haben.
Die Tür zur Klinik steht offen, also laufe ich einfach rein. Einen Empfangsbereich gibt es nicht; es handelt sich im Grunde bloß um einen schmalen Eingang und einen langen Gang mit Zimmern zu beiden Seiten. Aus einem davon höre ich Stimmen, also laufe ich langsam durch den Flur.
»… sieht schon ziemlich gut aus«, sagt David, dessen Stimme vor Lachen bebt.
Da ist ein sanftes, weibliches Ächzen. »Du bist ein schrecklicher Lügner«, sagt Christina. Sie lacht. Schnauft dann. »Au.«
»Sorry«, erwidert David teilnahmsvoll. »Zu viel, zu früh. Lass mich helfen.«
Ich stecke den Kopf genau in dem Moment durch den Türrahmen, als er das
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