Tate Archer – Im Visier des Feindes: Band 1 (German Edition)
hat, nicke ich. Dann ziehe ich Christina an mich und lehne ihren Kopf an meine Schulter.
Beim Abendessen sitzen wir nahe dem Kopfende des Haupttisches. Ich sitze neben Rufus und meine Mom gegenüber. Christina sitzt auf der anderen Seite neben mir und sieht nach der zweiten Dosis Schmerztabletten ein bisschen besser aus, wenn sie auch bloß in ihrem Essen herumstochert. Links von ihr sitzt ein Typ, den Rufus als seinen ältesten Sohn vorstellt und der ein paar Jahre älter aussieht als ich. Wie viele andere hier hat auch Aaron Bishop rotbraune Haare, aber grüne Augen und sonnengebräunte Haut. Rufus strahlt, wenn er ihn ansieht, was mir reicht, um zu verstehen, dass Aaron der Nächste in der Reihe für den Bishop-Thron ist, sofern es den gibt.
Aaron beugt sich an Christina vorbei, um mit uns beiden zu sprechen. »Mein Dad hat mir erzählt, ihr wärt vor dem Kern geflohen. Ihr müsst es ja ziemlich draufhaben.«
»Und eine Menge Glück«, sage ich, »aber danke.«
Er grinst. »Mann, ich wünschte, ich wäre dabei gewesen. Ich würd mein linkes Ei dafür geben, mal an diese Typen ranzukommen. Oder eigentlich egal an welche H2.«
Anscheinend hat Rufus seinen Hass auf alle H2 an seinen Sohn weitergegeben. Und vielleicht an jeden einzelnen Bishop in diesem Raum. Plötzlich vergeht mir der Appetit.
Christina spannt sich an. »Ist nicht der größte Teil der Bevölkerung H2?«, wirft sie ein.
Er sieht sie an, als wäre sie zwar süß, aber dumm. »Genau.«
Aarons jüngerer Bruder Steven, einer von Christinas vielen Tanzpartnern, der neben meiner Mom sitzt, kratzt an einer dunklen, verkrusteten Stelle in seinem blassen, sommersprossigen Gesicht herum und lacht. »Die Gesellschaft ist vor die Hunde gegangen.«
»Ich weiß nicht, wie ihr damit leben könnt«, sagt Aaron. »Mir würde das stinken, jeden Tag von ihnen umzingelt zu sein.«
»Wir wussten es gar nicht«, gebe ich ehrlich zu. »Seit wann wisst ihr es?«
»Wir verbergen die Wahrheit nicht vor unseren Kindern«, sagt Rufus.
Meine Mutter nimmt einen Schluck Bier aus ihrem Krug und stellt ihn dann ab. »Die anderen Familien erzählen es ihren Kindern nicht, bis sie mindestens sechzehn sind. Nicht, bevor sie das Geheimnis und die Verantwortung, die damit einhergeht, ertragen können. Das macht es einfacher, in dieser Welt zu leben. Stell dir vor, ein kleines Kind erzählt seinen Klassenkameraden, dass es ein Mensch ist und ein paar von den anderen Aliens sind. Stell dir vor, ein Schüler in der Mittelstufe tratscht mit seinen Freunden darüber – und überleg mal, wie schnell sich Gerüchte heutzutage verbreiten. Diese Offenbarung könnte herbe Konsequenzen für alle Beteiligten bedeuten. Wenn der Kern Wind davon bekäme, würden sie vielleicht etwas unternehmen. Selbst gegen unsere Jüngsten.« Sie sieht mich direkt an.
Das ist keine Entschuldigung, bloß eine simple Erklärung. Ich schaffe es einfach nicht, deswegen sauer auf sie zu sein, weil ich weiß, was in dem Augenblick passiert ist, als Mr Lamb Race Lavin gerufen hat. Aber ich muss mich fragen: Wie wäre es gewesen, es zu wissen? Wäre ich mit Will befreundet gewesen? Wäre ich mit Christina ausgegangen?
»Na klar«, würde ich gerne sagen, aber wenn ich so aufgewachsen wäre wie Aaron, wäre ich dann so anders als er?
»Unwissenheit ist ein Segen«, sagt Aaron mit scheinbar freundlicher Stimme.
Ich bin mir nicht sicher, wieso sich der Ton der Unterhaltung so schnell geändert hat, aber das hat er. Aaron sieht aus, als würde er sich nur zu gern streiten.
Meine Mutter sieht ihn an. »Es gibt viele Arten von Unwissen. Der Kern war immer schon unser Feind, aber der Rest der H2 sind Unschuldige.«
Aarons Lächeln ist schmierig, und ich hasse es, wie er sie ansieht, als wäre er was Besseres als sie. »Es ist leichter, sich beim Feind einzuschmeicheln, als aufzustehen und ihn zu bekämpfen, was?«
»Das macht ihr also hier, ja?«, blafft Christina ihn an.
Ich ergreife ihre Hand und drücke sie.
Rufus lacht laut auf, doch als sein Blick über Christina huscht, jagt er mir einen Angstschauer ein.
»Verärgere unsere Gäste nicht, Junge«, weist er Aaron zurecht, doch es liegt kein bisschen Ärger darin. Ich glaube, im Grunde ist er stolz auf seinen Sohn.
Rufus knallt seinen leeren Krug ein paarmal auf den Tisch, bis es still im Saal wird. »Wir sind heute Abend hier, um einen Mann zu ehren, dem die meisten von euch nie begegnet sind«, erklärt er mit lauter Stimme. »Aber ich habe ihn gekannt
Weitere Kostenlose Bücher