Tatort Mallorca - Die Tote in der Moenchsbucht
weiß-graue Wolke, die jetzt ein Stückchen weit vor die Sonne zieht, scheint ihr zuzuwinken.
„Di Flavio lässt dich grüßen.“
Eine kleine Röte überzieht Julias Wangen, sie lächelt. „Wirklich? War Enno vorher also in Kalabrien?“
„Nein, stell dir vor, di Flavio ist seit einiger Zeit hier auf Mallorca, er gibt Unterricht für EU-Polizisten.“
„Tatsächlich?“
„Ja.“
„Nun gut, sag Enno, ich richte di Flavio ebenfalls Grüße aus. Ich hoffe, es geht ihm und seiner Frau gut.“
„Mein Gott, bist du förmlich, Julia. Aber okay.“ Ulla wirft einen Blick auf ihre Uhr. „Igitt, jetzt habe ich fast die Zeit aus den Augen verloren, lass uns schnell zahlen. Wir müssen zurück.“ Ulla verwandelt sich wieder in das Nervenbündel, das sie vorher war, und wippt unruhig mit dem Fuß hin und her, schnippt auffällig mit den Fingern und ist sauer, dass der Wirt ein paar Sekunden mehr als nötig braucht, um ihren Zahlungswunsch zu registrieren. Sein Charme hat jetzt keine Chance mehr, zu Ulla durchzudringen. Julia lächelt ihm stattdessen freundlich zu und murmelt entschuldigend: „Sorry, wir haben es eilig.“
Mein Gott, denkt Ulla, ich hätte mich nicht auf den Vorschlag von Julia einlassen sollen. Jetzt kommen wir bestimmt zu spät. Wenn Enno nun schon da ist? Julia schleicht heute, sie ist doch sonst immer so schnell zu Fuß, aber jetzt, wo es darauf ankommt, bummelt sie rum. Schaut noch da und da und schwatzt in einer Tour. „Ich geh noch schnell, mich frisch machen.“
„In Ordnung, ich schaue mich in der Halle etwas um.“
„Hoffentlich begegne ich jetzt nicht noch Gwen oder dem Meister, oder Margo. Ich will schließlich nicht unhöflich sein, aber reden mit einem von ihnen kann ich jetzt nicht. Meine Hände sind schweißnass, ich kann jetzt niemandem die Hand geben.“
Julia schaut sich um. „Die Luft ist rein, ich sehe niemanden.“
„Gut, also bis gleich.“ Ulla hastet zu ihrem Zimmer. Als sie die Tür aufatmend hinter sich schließt, staunt sie nicht schlecht. Enno lümmelt auf dem Bett und springt auf, als er sie sieht.
„Hallo mein Schatz.“ Er umarmt sie und will sie mit sich auf das Bett ziehen.
Ulla wehrt sich: „Enno, bitte, ich kann dich im Augenblick überhaupt nicht gebrauchen, aber schön, dass du da bist, ich bin ja so aufgeregt, ich sterbe vor Angst. Hundert Personen und ich soll ihnen etwas erzählen über die Heilkräuter, mein Buch, das kann nicht gut gehen.“
„Komm, lass dich küssen.“
„Enno, tut mir leid, verschwinde, wir sehen uns nachher, ja?“ Ulla schiebt Enno vor sich her aus dem Zimmer. Der hat ihr gerade noch gefehlt. „Natürlich freue ich mich, dass du hier bist, aber ...“
Enno grinst: „Va bene, ich verstehe, dein Liebhaber ist dir lästig. Aber eine halbe Stunde nach dem Vortrag opferst du mir noch? Oder? Mein Flieger geht um viertel nach sechs.“
„Was? Du bleibst nicht bis morgen?“
„Denk an deinen Vortrag, alles andere hinterher, ich verschwinde. Ich mische mich unter deine Schamanen.“ Enno lacht und eilt zur Tür, ehe Ulla weiter protestieren kann. Sie hat Mühe, den bitteren Tropfen zu schlucken. Wie vorgeschlagen verdrängt sie die Nachricht und nimmt die zerknitterten Papierseiten aus ihrer Handtasche. Sie wirft einen Blick auf ihre Notizen, versucht anhand der Stichpunkte zu rekapitulieren, was sie vortragen will. Dann geht sie ins Bad, wirft einen Blick in den Spiegel, fährt sich mit der Zungenspitze über die Lippen, legt noch ein wenig Rouge und Puder auf, richtet die Locken, hebt den Daumen: „Du schaffst es, du schaffst es ...“ Dann dreht sie sich um und eilt mit raschen Schritten aus dem Zimmer.
Der große Saal ist gut besetzt, alle schauen sie an, als sie eintritt. Der Meister winkt ihr zu und bedeutet ihr, sich auf einem Platz in der ersten Reihe zu setzen. Bevor sie sich hinhockt, hält sie unauffällig Ausschau nach Enno und Julia. Beide sitzen einträchtig in der zweiten Reihe und grinsen um die Wette. Julia wie auch Enno heben den Daumen und formen ein „Du schaffst es“ mit den Lippen. Sie atmet tief durch und lächelt.
„Frau Ulla Hönig wird uns jetzt ihr Buch Magische Hexenkräuter vorstellen. Frau Hönig ist Heilpraktikerin in München. Die Heilkräuter wurden von ihrer Mutter schon vor vielen Jahren gesammelt und beschrieben. Neben den Beschreibungen finden sich auch viele Rezepte und Anwendungsvorschläge in dem Buch. Aber Frau Hönig wird Ihnen selbst erzählen, wie es zu dem Buch kam
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