Tatort Mosel
Strähne verdeckte eine Hälfte ihres Gesichts.
Walde stand auf. Seine Kleidung vom vergangenen Abend roch unangenehm nach Rauch. Auf dem Stuhl neben dem Bett lag ein Pullover von Doris. Er zog ihn über. In der Diele nahm er Portemonnaie und Schlüssel aus der Jacke. Auf der Straße bemerkte er, dass die Ärmel des Pullovers viel zu kurz waren. Er schob sie über den Ellenbogen.
Zurück vom Bäcker warf er die Kaffeemaschine an und deckte den Tisch. Von draußen vernahm er Handyklingeln. Es dauerte ein Weile, bis er realisierte, dass es seines war. Das Gespräch war weg, ehe er das Telefon aus der Jackentasche geangelt hatte. Auf der Mailbox war eine Nachricht. Dr. Hoffmann bat um Rückruf. Was wollte der Pathologe aus der Gerichtsmedizin am frühen Samstagmorgen von ihm?
Doris wankte schlaftrunken in einem kurzen Nachthemd herein. Stumm umarmte sie ihn. Walde schielte auf das Display und stellte fest, dass der Anruf von vorhin ebenfalls von Dr. Hoffmann stammen musste. Erst jetzt kam ihm der Leichenfund auf der Moselinsel wieder ins Gedächtnis.
Doris lehnte regungslos an ihm. Sie schien im Stehen zu schlafen.
»Bist du noch müde?«, fragte er behutsam.
Sie nickte.
»Dann leg dich noch mal hin. Ich muss kurz weg. Wenn ich zurückkomme, frühstücken wir gemütlich.«
*
Auf die stadtauswärts gelegene Seite der Porta Nigra waren bereits die Objektive der Touristen gerichtet. Sie nutzten die ersten Sonnenstrahlen, über die sich auch Walde freute. Erst hier wurde ihm wieder bewusst, dass er immer noch den viel zu kleinen Pullover trug. Zum Glück hatte er die Jacke übergezogen.
Walde bemerkte, dass die aufkommende Vegetation drauf und dran war, manche ihm im Winter lieb gewordenen Anblicke erneut zu verhüllen. Einzelne Häuser, teils ganze Ensembles, Mauern und Ausblicke verschwanden bis zum Herbst hinter dichtem Blattwerk.
Walde kannte den Weg entlang der gefliesten Flure im Keller des Krankenhauses. Vor der Milchglasscheibe meldeten ihm gleich drei Sinne, wo er sich befand. Der Geruch, das enervierende Geräusch einer Maschine und letztlich das Schild, das in schwarzen Versalbuchstaben bekannt gab: PATHOLOGIE.
Walde blieb an der Tür stehen, von wo er eine Weile zusah, wie Dr. Hoffmann etwas in Scheiben schnitt. Die Maschine ähnelte der, wie sie in Metzgereien verwendet wurde. Ein Assistent spritzte derweil mit einem Wasserschlauch den Edelstahl des Untersuchungstisches rund um einen mit klaffendem Ypsilonschnitt geöffneten Körper ab.
Dr. Hoffmann bemerkte den Besucher. Er schaltete die Maschine ab und zog Handschuhe und Schutzbrille aus.
Walde wusste, was ihn erwartete.
»Kommt ein Skelett zum Zahnarzt. Sagt der Doktor:.Ihre Zähne sind in Ordnung, aber das Zahnfleisch’ …« Der Arzt brach in schallendes Gelächter aus. Waldes schauspielerische Fähigkeiten brachten nur ein müdes Grinsen zustande.
»Sie haben den Toten von der Moselinsel bereits untersucht?« Walde drückte die kalte und schlaffe Hand, die ihm Dr. Hoffmann entgegen streckte und hatte dabei das Gefühl, die Leiche, die da ausgeweidet auf dem Tisch lag, zu berühren. Er warf einen fragenden Blick auf den Obduktionstisch.
»Nein, der kommt später dran. Aber wir haben da was in der Kleidung des Toten entdeckt, worüber ich Sie gleich unterrichten wollte.« Er zog eine Schublade auf und entnahm ihr eine durchsichtige Plastiktüte.
Walde erkannte darin eine Brieftasche: »Wo hat die gesteckt?«
»In der Innentasche des Trenchcoats«, antwortete der Pathologe.
Das durfte doch nicht wahr sein! Dieses Ding war zu groß, als dass Grabbe es übersehen haben konnte. So eine Kacke, der hat gar nicht nachgeschaut, dachte Walde.
»Wenn der hier fertig ist«, der Arzt wies auf den Tisch, »kommt der Räumer dran.«
Walde wußte, dass er richtig gehört hatte. Dennoch fragte er: »Wer?«
»Räumer, überrascht Sie das, war der nicht vor kurzem in der Zeitung?«
»Der ist oft in der Zeitung.«
»Ich meine, der wurde doch schon länger vermisst? Wäre doch möglich, dass ihm etwas zugestoßen ist.«
»Sicher, Sie haben Recht, nur …« Walde sprach nicht weiter. Er wollte gegenüber dem Pathologen nicht über die Unzulänglichkeiten seiner Mitarbeiter sprechen.
Dr. Hoffmann griff nach einem Diktiergerät: »Wollen Sie warten? In einer halben Stunde bin ich soweit.«
Walde nickte: »Ich gehe zur Kantine, rufen Sie mich bitte, wenn Sie soweit sind.«
In der Kantine musste Walde zweimal mit seinem Tablett umziehen, weil
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