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Tatort Mosel

Tatort Mosel

Titel: Tatort Mosel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mischa Martini
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zurück in der Wohnung angelangt, klingelte es an der Haustür. Typisch, seine Frau hatte mal wieder etwas vergessen. Auf den elektrischen Türöffner folgte keine Reaktion. Kurz ging zur Haustür und öffnete sie. Niemand war da. Auf der Fußmatte lag ein Zettel. Kurz bückte sich, um ihn aufzuheben.
    Der Schmerz traf ihn überraschend. Der Zettel glitt aus seiner Hand. Er glaubte, jemand würde ihm bei lebendigem Leib den Kopf abschneiden. Kurz fasste sich an den Hals, dorthin, wo dieses unerträgliche Reißen herkam, diese Bündelung von Schmerz. Er konnte nicht mehr atmen, krallte seine Finger in den Hals, fühlte etwas Dünnes, tief in der Haut. Es zerquetschte seinen Adamsapfel. Er konnte nicht schreien, konnte sich nicht wehren. Kurz sank vornüber auf die Knie, röchelte, ohne Atem zu bekommen, krampfte verzweifelt die Fingernägel in die Haut seines Halses, versuchte, unter den Draht zu gelangen. Vergebens. Er schlug mit den Ellenbogen nach hinten, wie er es als Fußballer getan hatte. Noch mal und noch mal.
    Ein fremder Schmerzensschrei mischte sich in sein Stöhnen. Kurz’ Hände stützten sich auf der Fußmatte ab. Er bekam einen Blumentopf zu fassen und schlug damit nach oben. Der Druck auf den Hals ließ nach. Kurz fiel mit dem Kopf auf einen Blumenkasten. Hinter ihm stöhnte wieder jemand vernehmlich. Kurz ruderte mit den Armen. Sein Kopf dröhnte wie ein Brummkreisel. Seine Oberarme spannten sich. Sein Körper setzte zu einer Drehung an. In diesem Moment zerbarst etwas auf seinem Kopf. Das Licht färbte sich bläulich, stob in grellen Funken auseinander, als explodiere ein Starkstromtransformator.
    *
    Waldes Fingerkuppen schmerzten. Den ganzen Abend über war kein anderer Bassist aufgetaucht. Er spielte schon seit Stunden. Längst beschränkte er sich nur noch auf das Wesentliche. Keine Zwischenläufe, kein Schnick-Schnack. Ulis Aufforderung zu einem Solo winkte er kopfschüttelnd ab. Er hatte kaum mehr Kraft in den Händen.
    Endlich! Nach dem Stück war Pause. Walde folgte seinen Kollegen hinter den Vorhang neben der Bühne, wo er sich ein Bier aus dem Kasten geben ließ. Weil ihn der Qualm der anderen störte, ging er, die Flasche in der Hand, in den kleinen Saal zurück. Eine Liveaufnahme von Sting mit Gil Evens lief über die Anlage. Während Walde überlegte, ob das Gefälle zwischen dieser Musik und dem, was heute bei der Session geboten wurde, nicht zu groß war, wandte er den Kopf zu den Sitzreihen. Die Mädchengruppe war verschwunden. Eine dunkelhaarige Frau nickte ihm zu. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass er seit zwei Stunden nicht mehr an seine Arbeit gedacht hatte.
    Walde schlängelte sich zwischen den Besuchern, die in der Pause auf ihren Plätzen geblieben waren, hindurch: »Hallo, Sonja, bist du schon länger hier?«
    »Hab keine Uhr an.«
    Sie deutete auf die helle Stelle an ihrem Handgelenk. Walde setzte sich neben sie und betrachtete ihre glatte Haut, die in dem schwachen Licht des Zuschauerraums einen leicht olivfarbenen Schimmer hatte.
    »Hat mir gut gefallen, der Saxophonist.« Sie lächelte. »Und natürlich ist noch ein weiterer Musiker besonders in Erscheinung getreten.« Sie legte eine Pause ein.
    »Ja?« Walde dachte an sein erstes Konzert, als er sich danach mindestens eine halbe Stunde von einem Mädchen erzählen ließ, wie gut er gewesen sei. Noch am gleichen Abend wurden sie ein Paar. Erst Tage später war ihm klar geworden, dass sie nicht zwischen Bass und Sologitarre unterscheiden konnte und ihr Lob gar nicht ihm gegolten hatte.
    »Der Pianist hatte gute Phasen.« Sie lächelte, als habe sie seine Gedanken erraten.
    »Und der Bass?«
    »Der schien nur das Nötigste zu tun.«
    »Zu mehr war ich nach zwei Stunden nicht mehr in der Lage. Wenn ich gewusst hätte, dass so eine kritische Zuhörerin …«
    »Was dann?« Sie trank ihr Glas aus.
    »Sollen wir rüber in die Kneipe gehen?«
    »Musst du nicht wieder …?« Sie zeigte auf die Bühne, wo sich Ortwin bereits hinter seinem Schlagzeug niederließ.
    »Lass uns verschwinden.« Walde ließ seine halbvolle Flasche stehen. Als er aufstand, griff Sonja nach der Tasche unter ihrem Stuhl. Dabei streckte sie die andere Hand in die Höhe. Walde fasste sie und half ihr hoch. Er führte sie an der Hand aus dem Zuschauerraum hinaus zum Hinterausgang. Ihre Hand fühlte sich gut an. Sie lag entspannt und doch angeschmiegt in seiner. Er spürte, wie sich die Bewegungen ihres Körpers auf ihre Hand übertrugen. Er spürte das

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