Tatort Mosel
niemand lauerte.
»Vielen Dank«, verabschiedete er den Portier, der sich beeilte, wieder ins Gebäude zu gelangen.
Als die Türen seines Wagens sich gleich nach Fahrtantritt automatisch verriegelten, entspannte sich Kurz ein wenig.
*
Auf der Bühne des kleinen Saales legte Uli am Flügel los, als wäre heute Abend Michel Petrucciani von den Toten auferstanden.
An den Tischen vor der Bühne saßen die Leute, die man immer hier antraf, wenn einmal im Monat die Session des Jazz-Clubs stattfand. Dahinter fanden sich in den abgestuften Sitzreihen nach und nach die Gäste mit ihren Biergläsern ein, die sich an der Theke der Tufa-Kneipe getroffen hatten. Um Walde wechselten die Spieler. Er schlug die ihm zugerufenen Nummern in seinem dicken Notenordner auf. Das jetzige Stück hatte er schon seit Jahren nicht mehr gespielt. Er brauchte ein paar Takte, um mit Ortwins Hilfe den Rhythmus zu finden. Ortwin wählte am Schlagzeug Besen, was Walde bei diesem Stück am Kontrabass sehr entgegenkam. Eigentlich wollte er ungestört nachdenken. Bei der Musik schloss er immer wieder die Augen und verfiel in eine Art Halbschlaf, seine Gedanken glitten auf eine traumartige Ebene ab. Jedes Mal fuhr er erschrocken auf, wenn ihn ein harter Break des Schlagzeugers in die Realität zurückholte.
Der junge Saxophonist in den für die Jahres- und Uhrzeit ungewohnten Shorts und Sandalen nahm Ulis Herausforderung an und versuchte, seine ganze Frühreife in das Solo zu legen.
Walde nahm eine bequeme Position ein, indem er die Arme so um den Bass schlang, dass er sich an das schräg stehende Instrument lehnen, ja richtig einhängen konnte.
Auf den Rängen füllten sich die Reihen mit einer Gruppe Mädchen, die sich offensichtlich auf einer abendlichen Erkundungstour durch Trier befanden. Sie schnatterten so laut, dass Walde meinte, ein paar Brocken Schwedisch aufzufangen.
Der Saxophonist steigerte sich in ein wirklich beachtliches Solo. Im Zuschauerraum wurde es leiser. Die Schülerinnen schwiegen ein paar Takte lang und applaudierten, als an Uli übergeben wurde.
*
In der Maximinstraße betätigte Kurz den Sensor. Wenige Meter weiter schwenkte das große Gittertor nach hinten und Kurz fuhr seinen Wagen durch die Einfahrt unter dem Vorderhaus hindurch in den Hof. Die mit einem Bewegungsmelder gekoppelten 100-Wattstrahler leuchteten auf. In dem schmalen Haus, das in einem von Häuserzeilen gesäumten Garten stand, brannte Licht. Seit Monaten wollte er die Hecke neben der Eingangstür stutzen.
»Ich hab das Püree ins Wasserbad gestellt, Sauerkraut und Kasseler sind noch warm.« Während sie sprach, zog seine Frau sich eine Jacke über und band ein Seidentuch um den Hals.
Er fragte überrascht: »Isst du nicht mit?«
»Wir gehen doch heute essen, der ganze Pfarrausschuss, ich bin schon viel zu spät an.«
»Lasst die Kirche im Dorf!« Er versuchte seine Enttäuschung zu verbergen.
»Ist was? Du guckst so.«
»Nee, bisschen Ärger im Betrieb, das Übliche.«
»Gut, ich geh jetzt, du kommst ja klar?«
Er nickte.
»Heute Abend ist Fußball im Fernsehen.« Damit war sie zur Tür hinaus.
In der Küche stellte Kurz den Herd an. Dann ging er ins Wohnzimmer und suchte per Fernbedienung den Kanal, der Fußball übertrug. Die zweite Halbzeit hatte gerade begonnen.
Zurück in der Küche fand er kein Bier im Kühlschrank. Das Wasser unter der Schüssel mit Püree begann bereits kleine Blasen zu werfen. Er stellte die Temperatur kleiner. Sein Mund war trocken. Die Sprudelflasche auf dem Tisch war warm. Mist!
Auf dem Herd blubberte das Wasser. Die Schüssel klapperte im Topf. Er drehte den Schalter zurück und rührte das Püree mit einem Holzlöffel um. Nebenan wurde die Stimme des Kommentators lauter. Kurz eilte hin und sah die Wiederholung eines Tores, das soeben gefallen war.
Er nahm im Laufschritt die Treppen zum Keller. Der Kasten unter dem Regal mit Konserven und Eingemachtem war voll. Er bückte sich und zog zwei Flaschen heraus. Sein Blick fiel auf einen Stapel Schokolade, der ganz hinten im untersten Regal hinter Gurkengläsern stand. Aha, dort also hatte seine Frau die Süßigkeiten vor ihm versteckt. Eine Tafel Schokolade konnte er sich heute Abend gönnen, nach dem Frust mit den Druckern. Auf der Treppe überlegte Kurz, ob er später noch mal im Verlag anrufen sollte. Erst oben in der Wohnung bemerkte er, dass er das Bier hatte stehen lassen.
Vor sich hin grummelnd stieg er wieder in den Keller hinunter. Kaum war er
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