Tatort Oktoberfest (German Edition)
wenn Sie gesundheitlich okay sind, wieder nach Hause schicken. Er ist jetzt der Meinung, dass seine Sorge mit der ’Ndrangheta in Zusammenhang mit der Wiesn übertrieben war. Wir schaffen das hier schon allein.“
„Wenn dieses Gewitter im Kopf endet, bleibe ich selbstverständlich noch wie vorgesehen die erste Woche des Oktoberfestes da. Keine Frage. Wenn alles ruhig bleibt, reise ich ein oder zwei Tage früher ab.“
Heimstetten steht auf, wandert unruhig im Zimmer auf und ab, bis er stumm einen Umschlag auf den Nachttisch legt.
„Sie machen mich ja ganz nervös, was ist denn los?“ fragt di Flavio mehr rhetorisch, greift sich den Umschlag und öffnet ihn. Er hält ein Flugticket für den nächsten Tag in den Händen. „Verstehe. Hauptkommissar Wimmer hat entschieden, mich sofort nach Hause zu schicken. Oder ist mein Einsatz von weiter oben abgeblasen worden? Wer will, dass ich nicht länger hier bin?“
Heimstetten schaut betreten zu Boden, presst dann raus: „Sprechen Sie mit meinem Boss, bitte.“ Nach kurzem Zögern fügt er tröstend hinzu: „Sie können bis zur Abreise noch in meiner Wohnung bleiben, wenn Sie das nach dem Debakel noch möchten, Signore di Flavio.“
Der Commissario nickt. „Danke, Kollege Heimstetten. Ich melde mich morgen in der Ettstraße.“ Heimstetten versucht ansatzweise zu protestieren. Di Flavio lenkt ein. „Bene, ich werde Hans sofort anrufen.“
„Er hat zurzeit sehr viel um die Ohren, verstehen Sie doch. Wir sind um Ihre Sicherheit besorgt, Commissario. Wir können keinen Zwischenfall zum Oktoberfest gebrauchen. Die ganze Welt schaut auf München, und dieses Jahr wird auch alles im Fernsehen live übertragen. Es ist nicht einfach für meinen Boss. Ich wünsche Ihnen eine gute Heimfahrt. Beim nächsten Mal wird sicher alles besser klappen. Tut mir leid.“
Als sich die Tür hinter Heimstetten schließt, wandert di Flavios Blick zu der Buche vor dem Fenster. Ein Schwarm Blaumeisen erobert gerade einen Ast und balgt sich um die Plätze. Di Flavio lächelt. Er wählt erneut Luigis Nummer. Aber wieder hört er nur ein Atmen. „Luigi, bitte melde dich. Was ist los?“ Nach einer Weile klappt er sein telefonino zu und legt sich erschöpft in die Kissen zurück. Die Kraft, weiter gegen das Trieseln im Kopf anzukämpfen, fehlt ihm noch. Seine Augenlider werden schwer, und er schließt sie. Erneut meldet sich der Albtraum zurück. Die Jugendlichen schlagen auf ihn ein. Notgedrungen zwingt er sich, gegen jede Vernunft, die Augen wieder zu öffnen und offen zu lassen. Um es zu schaffen, summt er vor sich hin.
„Passend, der Gefangenenchor aus Nabucco. Offensichtlich fühlt sich da jemand eingesperrt.“ Julias Kopf erscheint in der Türöffnung. „Darf ich?“
Er bedeutet ihr mit einer Handbewegung, hereinzukommen. „Bitte.“
Julia winkt mit einer Schachtel Pralinees. „Zur Auffüllung des Serotoninspiegels.“
Er lacht und weist mit dem Finger auf die bereits vorhandene Packung. „Mein Kollege hatte die gleiche Idee, vielmehr seine Freundin.“
„Offenbar liest sie die gleiche Frauenzeitschrift. Danach ist Schokolade wahnsinnig gesund, wenn der Kakaoanteil hoch ist wie bei den bitteren Sorten. Ich gebe zu, ich esse lieber die Vollmilchvariante, wenn es geht, noch mit viel Nüssen.“
„Nüsse sind doch auch Nervennahrung. Aber bitte, setzen Sie sich, Julia. Ich freue mich, Sie zu sehen. Wie geht es Ihnen? Come sta? Bene?“
Ganz gegen seinen Willen überrollt ihn eine zärtliche Welle von Gefühlen, die ihn seine Sicherheit kostet. Julia lächelt ebenfalls verlegen, fast schüchtern. Bei ihrem ersten Treffen waren sie mutiger aufeinander zugegangen, fällt ihm ein. Der Gedanke treibt ihm das Blut in die Wangen. In diesem Moment nimmt Julia seine Hand und streicht zärtlich über den Handrücken.
„Es ist mir etwas peinlich, Commissario, wissen Sie, dass ich sehr oft an Sie denke?“ Das zärtliche Lächeln, das sich auch in ihren graugrünen Augen spiegelt, zaubert.
„Ja, es geht mir ebenso.“ Der unangenehme Geruch, der ihm vorher auf den Magen schlug, ist verschwunden. Julias Gesicht nähert sich seinem. Ihre Lippen berühren sich. Er schließt die Augen. Die Jugendlichen und die pochenden Schmerzen im Kopf verlieren sich in der Ferne.
„Ah, Ihre Frau ist gekommen, um nach Ihnen zu sehen, wie schön“, sagt die Schwester, als sie ins Zimmer kommt. Er nickt einfach, und Julia lächelt. „Morgen können Sie ihn wieder mitnehmen, keine Angst, viel ist
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