Tatort Oktoberfest (German Edition)
seiner Mundhöhle vor Anspannung gesammelt hat. „Frau Rezzo, darf ich Sie nochmals stören?“ fragt er, als sie die Tür oben öffnet. Ihre Augen sind noch röter und geschwollener als beim ersten Mal. Ihre Haare stehen ungekämmt vom Kopf ab, und ihre Augen flackern unruhig.
„Hat Luigi sich bei Ihnen gemeldet, haben Sie ihn gesehen? Und haben Sie ihm gesagt, dass er mir gar nicht mehr unter die Augen zu kommen braucht? Für mich ist er gestorben.“ Nachdem sie das gesagt hat, fahren ihre Finger zum Mund, als würde sie die Worte wieder zurückschieben wollen. „Kommen Sie rein“, fordert sie ihn auf.
„Frau Rezzo, Luigi wird nicht mehr kommen.“ Di Flavio erwartet eine neue Schimpfkanonade, aber er erntet nur einen misstrauischen, finsteren Blick. Dann wendet sich die Frau ab und fummelt an dem Deckchen, das einen kleinen Tisch ziert und auf dem Fotos stehen, herum. „Wollen Sie sich nicht hinsetzen?“ fordert er sie auf und nimmt ihren Arm. Er leitet sie zu der Couch und zwingt sie, sich dort niederzulassen. Dann setzt er sich ihr gegenüber. „Ich bringe Ihnen und Ihrem Sohn eine sehr unangenehme Nachricht. Ihr Mann wurde erschossen. Die Polizei hat mich gebeten, ihn zu identifizieren und Ihnen diese traurige Mitteilung zu überbringen, weil ich Luigi kannte und ein Landsmann bin. Er wurde an seinem Arbeitsplatz in der Brauerei gefunden.“ Luigis Frau fängt an zu weinen. Er rückt neben sie, gibt ihr ein Taschentuch und legt den Arm beruhigend um sie. „Kann ich jemanden anrufen? Ihre Mutter, Ihre Schwester, damit sie Ihnen beistehen?“
Sie schüttelt vehement den Kopf. Da wimmert das Kind nebenan, und sie steht auf und eilt in den Nebenraum. Sie braucht eine Weile, bis sie mit dem Kind auf dem Arm wiederkommt. „Bitte gehen Sie, ich möchte allein sein. Sagen Sie der Polizei, dass die Schlampe schuld ist, sie sollen sie verhaften. Sie hat ihn auf dem Gewissen, sie hat ihn getötet. Assassina.“
Di Flavio steht auf und hört beim Hinausgehen, wie sie zu dem Jungen leise sagt: „Dieser Schuft, er hat es nicht anders verdient. Aber du sollst es gut haben, mein Schatz, mein Engelchen.“
Er schließt leise die Tür hinter sich und bleibt noch eine Minute auf dem Treppenabsatz stehen. Ein stechender Kopfschmerz nimmt ihm den Atem. Sein Magen rebelliert, und ihm ist schlecht. Er versucht, dagegen mit einigen tiefen Atemzügen anzukämpfen, wobei die abgestandene und mit Reinigungsmitteln gesättigte Luft des Treppenhauses ihm wenig Erleichterung bringt. Er eilt die Treppen hinunter, öffnet die Tür und wiederholt die Prozedur vor dem Haus. Er geht die zweihundert Meter zurück zum U-Bahnhof. Der Polizeiwagen wartet auf ihn. Der Fahrer steigt aus und kommt auf ihn zu: „Ist Ihnen nicht gut? Sie sehen blass aus.“
„Schon gut. Setzen Sie mich bitte an dem nächsten Bistro ab, ein Kaffee und eine Kleinigkeit zum Essen, und ich bin wieder wie neu.“
„Ich könnte Sie zur Leopoldstraße fahren, dort finden Sie bestimmt etwas Passendes.“
„Ja, das wäre gut. Von dort kann ich mit der U-Bahn zur Wiesn gelangen, oder?“
Der Polizist lacht. „Na, noch käsig im Gesicht und schon wieder vergnügungssüchtig. Wollen Sie nicht erst einmal wieder auf die Beine kommen? Offensichtlich haben Sie sich gestern schon auf der Wiesn eine Beule geholt, Sie sollten das Schicksal nicht herausfordern, Commissario.“
„Sicher, Sie haben recht. Setzen Sie mich einfach bei der Leopoldstraße ab, und ich gehe erst einmal eine Kleinigkeit essen. Mein Frühstück ist heute nämlich ausgefallen, und ich fürchte, mein Blutzuckerspiegel toleriert noch mehr ausgefallene Mahlzeiten nicht.“
Tatsächlich ist di Flavio froh, als er in einem Restaurant sitzt. Beim Lesen der Speisekarte grummelt sein Magen verdächtig, und er lächelt, als er bei der Bedienung eine Portion Schweinsbraten mit Knödeln bestellt. Wenn schon in Bayern, dann richtig, denkt er und bestellt auch noch ein Bier dazu, dies allerdings alkoholfrei, denn die Weisung des Arztes ist ihm noch gut im Gedächtnis oder anders gesagt, sein Kopf brummt noch immer. Nein, nicht nur sein Kopf, auch sein telefonino. Auf dem Display sieht er Ericas Namen, und das schlechte Gewissen beschleicht ihn, weil er sich bei ihr bislang nicht gemeldet hat.
„Tino, wo steckst du die ganze Zeit? Ich versuche schon seit gestern ununterbrochen, dich zu erreichen. Sag nichts, ich weiß schon, du hattest keine Gelegenheit anzurufen, weil du im Einsatz warst. Aber egal.
Weitere Kostenlose Bücher