Tatort Oktoberfest (German Edition)
Hör zu. Es könnte sein, dass ich heute Nachmittag schon in München bin, in drei Stunden genauer gesagt. Albert hat mich gerade angerufen und mir gesagt, dass die ganze Bande heute noch nach München fliegt. Sie wollen mich mitnehmen. Es kommt für mich etwas überraschend, ich dachte eigentlich, wir würden erst zum Wochenende kommen. Das einzig Blöde ist, dass ich so keine Zeit habe, mich zünftig zu kleiden, aber vielleicht hilft mir jemand aus. Immerhin passe ich in Größe 36/38, und so dürfte das kein Problem darstellen. Wir sind dann im Hippodrom, und ich möchte unbedingt, dass du vorbeischaust. Das ist für mich sehr wichtig, also keine Ausreden. Versprich mir …“
Di Flavio schaut auf die Leopoldstraße, Touristen flanieren vorbei, einige junge Mädchen kichern, und ein paar junge Burschen drehen sich um. Am liebsten würde er die Austaste seines telefoninos bedienen. Aber er würgt ein „Sì, sì, ich bin sowieso auf dem Oktoberfest, ich schaue in das Zelt, sofern sie mich reinlassen“, hervor.
„Keine Ausflüchte, Tino, du wirst doch als Ermittler reinkommen? Mach keine Scherze mit mir. Wenn nicht, beruf dich auf Gräfin Weyenfels und sag, du gehörst zu ihrem Tross. Bis später also.“
Der Schweinsbraten, den die junge Frau vor ihn auf den Tisch stellt, sieht gut aus, und obwohl ihm ein wenig der Appetit vergangen ist, probiert er. Julia fällt ihm ein, aber er verkneift sich, sie anzurufen.
Als Claudia am Morgen erwacht, weil ein Sonnenstrahl ihre Nase kitzelt, braucht sie eine Weile, bis ihr Kopf richtig funktioniert. Heute ist kein Besuch der Großmarkthalle fällig, heute hat sie frei. Heute ist das Restaurant geschlossen. Sie streckt sich nochmals wohlig im Bett aus, bis ihr siedend heiß einfällt, dass Großkampftag angesagt ist, ihr Großkampftag! Sie setzt sich mit einem Ruck auf und angelt sich ihre Agenda, um die Einträge zu prüfen:
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11.00 Uhr: In der VIP-Lounge dem Trachtenumzug beiwohnen
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14.00 Uhr: Bummel mit dem Fernsehen über die Wiesn, anschließende kurze Karussellfahrt auf der traditionellen Krinoline bei Walzermusik
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16.00 Uhr: Verkündung ihrer Aufgabe im Hippodrom, davor Mithilfe beim Bierzapfen und medienwirksames Maßkrugstemmen
Den ersten Punkt kann sie schon mal vergessen, zu spät. Zu viel Präsenz schadet nur, redet sie sich ein, die Leute sehen sich an einem über. Sie sinkt in die Kissen zurück. Ihr fällt der Polizeibesuch gestern Abend ein, Luigis Verschwinden und die Drohung. Sofort breitet sich ein flaues Gefühl in ihrem Magen aus und wächst sich zu einem Unwohlsein aus. Die Ungewissheit macht sie nervös. Luigi. Ob sie ihn schon gefunden haben? Ob er sich bereits gemeldet hat? Vielleicht ist die Sache bereits vom Tisch. Sie wüsste gern, woran sie ist. Diese Nebeltaktik der Polizei behagt ihr ganz und gar nicht. Das Telefon läutet, sie hebt ab. „Ja, bitte?“
Ein Schwall italienischer Worte prasselt auf sie nieder, die dann in Deutsch übergehen: „Du Schlampe, du hast meinen Mann ermordet. Du gehörst ins Gefängnis, an den Pranger, du …“
„Frau Rezzo? Ich verstehe nicht, was ist mit Ihrem Mann, wurde er gefunden? Beruhigen Sie sich doch. Und warum …? Er ist tot? Dio.“
„Dein Liebhaber, ja, er ist mausetot. War er dir im Wege? Der Prinzessin nicht mehr fein genug? Assassina.“
Alle klaren Gedanken versinken im Meer der Beschimpfungen. Erst Sekunden später taucht die ungeheuerliche Tatsache, dass Luigi tot ist, der Luigi, mit dem sie die Tanzschule besucht hatte und …, wieder an die Oberfläche und schnürt ihr die Luft ab. Ein Gefühl der Leere breitet sich in ihr aus, das abgelöst durch Wut und Verzweiflung endlich Fragen aufkommen lässt. Welche Bestie bringt jemanden wie Luigi um? Musste Luigi ihretwegen sterben? Ist ihr Leben ebenfalls in Gefahr? Oder will man ihr damit nur ein Zeichen geben? Wer steckt dahinter? Mit wackligen Knien steht sie auf. Schlagartig fällt ihr Luigis Handy ein. War der Mörder bereits in ihrer Wohnung, hat sie ausspioniert? Wo ist das Handy? Sie schaut sich gehetzt um. Wo hat sie es gestern hingelegt?
Claudia kann sich nicht erinnern. Sie beginnt, fieberhaft zu suchen. Als sie es auf dem Tisch und dem Boden nicht findet, bückt sie sich. Nervös fährt sie sich durch die Haare. Vielleicht ist es hinuntergefallen? Ihre Hand gleitet unter den Möbeln den Boden entlang. Nichts. Hat sie sich alles nur eingebildet? Wird sie langsam schizophren?
Als ihr die zweite Möglichkeit bewusst wird,
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