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Tatort Oslo - Unehrlich waehrt am laengsten

Tatort Oslo - Unehrlich waehrt am laengsten

Titel: Tatort Oslo - Unehrlich waehrt am laengsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knut Krueger
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war natürlich auch nicht erklärt worden. Alles komplett unlogisch, dachte sie, aber egal. Jedenfalls hockten diese Samen, die allesamt Rentierzüchter waren, dort oben in der Pampa und ließen sich in ihren bunten Trachten von den Touristen fotografieren, die alle Jubeljahre mal vorbeikamen. Ansonsten schmusten sie mit ihren Rentieren, jodelten besser als jeder Alm-Öhi und blickten schweigend in die Ferne.
    Und wenn wir jetzt nicht höllisch aufpassen, dachte Franziska, dann blüht uns später einmal dasselbe Schicksal. Dann würde sie vielleicht eines Tages einen norwegischen Samen kennenlernen, der sie an den Polarkreis verschleppte. Und während ihre Freundinnen in einem Münchner Biergarten saßen oder im Starnberger See schwammen, würde sie bis ans Ende ihrer Tage mit einer Ohrenklappenmütze in den Blaubeeren hocken und bei jeder Gelegenheit diesen komischen Jodelgesang anstimmen – was sollte man dort auch anderes tun?
    »Ach, Quatsch«, entgegnete Lukas. »Der Typ ist bald Geschichte, jede Wette. Mama hat sogar gesagt, dass wir in den Weihnachtsferien vielleicht nach München fahren.«
    »Was???« Franziska blieb wie angewurzelt stehen und starrte ihn ungläubig an. »Das erzählst du mir erst jetzt?«
    »Ja, gestern Abend hat sie das gesagt, nachdem wir noch mal über Papa gesprochen haben.«
    Franziska wurde von einem schwindelnden Glücksgefühl erfasst. Ein Prickeln lief ihre Wirbelsäule hinab, als hätte jemand eine Schachtel mit Stecknadeln über ihrem Rücken ausgekippt. Wenn sie in den Weihnachtsferien nach Hause fuhren, dann waren sie so gut wie gerettet. Sie hatte immer gedacht, dass ihre Mutter eine Rückkehr unter allen Umständen vermeiden wollte. Zumindest so lange hinauszögern würde, bis sie und Lukas kein Heimweh mehr hatten. Ihre Heimat sollte ihnen abgewöhnt werden, bis sie kein Bedürfnis mehr nach ihr verspürten. Aber so weit würde es nicht kommen. Im Gegenteil. Dieses Angebot war der kleine Finger, den ihre Mutter ihnen entgegenstreckte, und Franziska würde nicht zögern, die ganze Hand zu ergreifen.
    Sie ballte die Faust, wie ein Tennisspieler nach einem wichtigen Punktgewinn.
    »Mama hat nur vielleicht gesagt«, wiederholte Lukas sicherheitshalber. »Ich glaube, entschieden ist da noch nichts.«
    Doch Franziska schien ihn gar nicht zu hören und schwebte nun wie auf einer unsichtbaren Wolke der traditionsreichen Elisenbergschule, von Insidern ELI genannt, entgegen. Ein klein bisschen werde ich dich schon vermissen, liebes ELI , dachte sie und bemerkte zum ersten Mal, wie dekorativ die ockergelbe Fassade mit den karmesinroten Flügeltüren von Weitem aussah. Vor dem ehrwürdigen Portal streckten ein paar knorrige alte Bäume ihre Äste in den klaren Morgenhimmel. Waren es Ulmen, Birken, Kastanien? Franziska hatte keine Ahnung von Bäumen, aber schön sah es aus, wie sich die leuchtenden Blätter von den Zweigen lösten und in allen Farben des Herbstes durch die Luft wirbelten.
    »Guten Morgen zusammen!«, rief die Stimme des Direktors direkt hinter ihnen. Sie fuhren herum und schauten in das grinsende Gesicht von Håkon, dem Stimmenimitator. Franziska wurde von einem spontanen Gefühl der Wärme für ihren blonden Mitschüler mit der Hippiemähne ergriffen. In diesem Moment schloss auch Daniel zu ihnen auf und Elias stopfte seinem Kumpel Lukas zur Begrüßung gleich mal ein bisschen Herbstlaub unter die Jacke. Jetzt freute sie sich beinahe auf den heutigen Tag, zumal er mit UTV begann.
    UTV war die Abkürzung für utdanningsvalg , was wörtlich übersetzt Ausbildungswahl heißt. UTV war das beliebteste aller norwegischen Fächer und nur dazu da, den Schülern zu zeigen, welche Berufe und Ausbildungswege ihnen nach ihrer Schullaufbahn offenstanden. Auch Mørk schien die wöchentliche UTV -Stunde zu genießen, weil er sich da einen faulen Lenz machen und andere für sich arbeiten lassen konnte. Eigentlich sollten die Schüler in diesem Fach frühzeitig Bekanntschaft mit neuen und seltenen Berufsbildern machen – man brauchte ihnen ja nicht groß zu erklären, was ein Koch oder Fliesenleger so machte, das wussten die Achtklässler sowieso. Mørks Schüler hingegen machten ausschließlich Bekanntschaft mit den Berufen ihrer eigenen Eltern, die Mørk schriftlich eingeladen hatte, vor der Klasse einen Vortrag zu halten.
    Auf dem unteren Teil der Einladung hatten die Eltern ankreuzen sollen:
    a) halte gern einen Vortrag oder
    b) habe leider keine Zeit
    Nach einer hitzigen

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