Tatort Oslo - Unehrlich waehrt am laengsten
Diskussion mit Lukas, der meinte, für so etwas könnten sie von der Schule fliegen, hatte Franziska b) angekreuzt und die Unterschrift ihrer Mutter mit den Worten gefälscht: »Wenn wir von der Schule fliegen, umso besser!« Ihre Mutter hätte es natürlich geliebt, vor der Klasse in lausigem Norwegisch einen Vortrag darüber zu halten, wie man Augenärztin wird. Wahrscheinlich hätte sie zur Feier des Tages ihren roten Bikini angezogen und allen kostenlos ins Auge geleuchtet. Mørk inklusive.
»Kommen deine Eltern auch?«, fragte sie Alexander vor Unterrichtsbeginn.
»Nee, keine Zeit«, antwortete er.
»Schade, die haben doch echt coole Berufe.«
»Findest du?«
»Na klar.«
»Ich finde, Elias’ Vater sollte noch mal kommen«, sagte Alexander. »Ich hab das mit der Zubereitung der Sülze noch nicht ganz verstanden. Man entbeint zuerst den Schweinekopf, oder wie war das?«
»Erst kochen, dann pökeln, dann entbeinen«, antwortete Franziska leichthin, die offenbar gut aufgepasst hatte. Dann wurden sie von einem Lachanfall geschüttelt.
Sie hatten sich bisher mehr oder minder interessante Vorträge darüber anhören müssen, wie man Apotheker, Steuerberater oder Floristin wurde. Den Vogel abgeschossen hatte allerdings Elias‘ Vater, der Metzger war und im Prinzip so aussah wie sein Sohn, nur noch etwas rotwangiger und dicker, sodass der Nackenspeck in mehreren Wülsten übereinanderlag. Er hatte das Schaubild eines rosa Schweins an die Tafel gehängt, dessen Körperteile nummeriert und mit Metzgerfachbegriffen bezeichnet waren: Brust oder Dicke Rippe, Stielkotelett, Lendenkotelett, Bauchlappen, Unterschale, Oberschale, Hüfte, Nuss, Eisbein, Schweinsfuß und so weiter. Und dann hatte er ihnen mit solcher Detailtreue und Begeisterung geschildert, wie man ein Schwein zerlegt und was man mit den Einzelteilen alles anfangen konnte, dass man ihm den Schlusssatz seiner Ausführungen einfach glauben musste: »Metzger ist der schönste Beruf der Welt!«
Ausgerechnet Elias hatte sich unentwegt Notizen gemacht und Håkon ein neues Imitationsobjekt gefunden. Nur Tonje und Selma, die Topmodels in spe, hatten sich vor Ekel geschüttelt bei der Vorstellung, ihre Zukunft nicht auf den Laufstegen in Paris und Mailand, sondern in einem Kühlhaus zwischen riesigen Schweinehälften zu verbringen – mit einem blutigen Beil in der Hand.
Nach UTV (dieses Mal: Versicherungskauffrau, gähn) ging es dann mit Gesellschaftskunde, Kunst & Handwerk sowie einer Doppelstunde Mathe weiter, ehe sie den Tag mit einer sogenannten Klassenstunde beenden würden. In der Klassenstunde besprachen sie organisatorische Dinge oder widmeten sich aktuellen Problemen in der Klasse. Im Moment stand die Planung der großen Jahresabschlussfeier auf dem Programm, die Mitte Dezember steigen sollte.
Die Schule in Norwegen war echt ein Klacks, da waren sich Lukas und Franziska vollkommen einig. Die anderen sollten mal einen einzigen Tag an einem bayerischen Gymnasium verbringen, dachte Lukas, die würden schön mit den Ohren schlackern. Noten kannten sie hier bis zur achten Klasse überhaupt nicht. Stattdessen hatten seine norwegischen Mitschüler die ganze Zeit irgendwie vor sich hin gelernt, sieben Jahre zusammen, bis sie zur achten Jahrgangsstufe auf die Weiterführende Schule gewechselt hatten. Einige maulten sogar, das mit den Noten wäre doch totaler Stress und warum man in der achten Klasse überhaupt noch damit anfangen müsse.
Lukas und Franziska hatten bisher nur Fünfen und Sechsen gesammelt und galten damit schon fast als Streber. Hier standen die Noten nämlich auf dem Kopf: sechs war die beste, eins die schlechteste Note, die es aber nur in der Theorie zu geben schien.
Die Elisenbergschule hätte es eigentlich verdient, auf ihre Liste zu kommen und nach Skolebrød und Kvikklunsj den dritten Pluspunkt für Oslo einzuheimsen, dachte Lukas. Aber wenn er das vorschlug, würde Franziska wahrscheinlich fuchsteufelswild werden und ihn als Verräter beschimpfen, genau wie bei der Sache mit Leifs Auto. Sie fand hier nämlich aus Prinzip alles schlecht, das begriff er so langsam, und das fiel ihm zunehmend auf den Wecker. Er wollte ja genauso nach München zurück wie sie. Aber warum man deshalb nicht in Leifs Sportwagen mitfahren oder etwas Positives über die Schule sagen durfte, verstand er beim besten Willen nicht.
Kapitel 14
Petter saß in seinem spartanisch eingerichteten Zimmer auf dem Fensterbrett und starrte mit leerem Blick nach draußen.
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