Tatort Oslo - Unehrlich waehrt am laengsten
immer noch nachdenklich auf das Display starrte, hörte sie ein Geräusch an der Tür. Rasch schloss sie das Postfach und knallte das Handy zurück auf den Tisch, doch zu spät.
»Was machst du da?«, fuhr er sie an und riss das kleine schwarze Gerät an sich.
»Nichts, ich wollte nur …«, stammelte sie.
»Wer hat dir erlaubt, an mein Handy zu gehen?« Leifs Finger jagten über die Tasten. »Was hast du gemacht?«, rief er wütend. Dann erstarrte sein Blick. Seine winzigen Pupillen weiteten sich. Während sich seine linke Hand um das Handy krallte, hob er seine zitternde Rechte und Franziska fürchtete für einen kurzen Moment, er wollte sie schlagen oder an der Kehle packen. Doch er presste nur »Du, du …« zwischen den bebenden Lippen hervor. Dann war er wie ein Betrunkener aus der Küche getaumelt.
✶ ✶ ✶
Als sich am Samstagabend, während sie gemeinsam vor dem Fernseher saßen, erneut Leifs Handy meldete, läuteten bei Franziska alle Alarmglocken. Schon die Art, wie er auf das Display starrte und nervös ins Schlafzimmer huschte, signalisierte Franziska, dass etwas im Busch war. »Bin gleich wieder da«, sagte sie rasch und stand ebenfalls auf. Neben dem Badezimmer besaß ihre Wohnung noch eine zweite Toilette, die zum einen an den Eingangsbereich, zum anderen an das Schlafzimmer ihrer Mutter angrenzte. Das Außerordentliche an dieser Toilette war ihre sagenhafte Akustik. Nahezu jedes Wort, das im Schlafzimmer gesprochen wurde, war dort so klar und deutlich zu hören, als gäbe es keine Wand dazwischen. Franziska schloss lautlos die Tür, setzte sich hin und lauschte.
»… dir doch gesagt, dass du mich nicht mehr anrufen sollst!« Obwohl er flüsterte, schien Leif ziemlich in Rage zu sein.
»Was? Das kann doch nicht dein Ernst …«
– –
»Ausgeschlossen. Ich mach da nicht mehr mit.«
– –
»Weil ich keinen Bock hab, in den Knast zu wandern. Und weil ich mir hier ein neues Leben aufgebaut habe.«
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»Wieso Schulden?«
– –
Leifs Stimme war plötzlich sehr kleinlaut geworden. »Du hast gesagt, dass ich nichts mehr zahlen muss.«
– –
»Veränderte Situation?«
– –
» Du hast die Alte doch von der Terrasse gestoßen, verdammt! Weil du dich eben nie in der Gewalt …«
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»Ich reg mich ja schon ab.«
– –
»Ein letztes Treffen … meinetwegen.«
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»… Moment, ich schreib’s auf.«
– –
»Okay, Maridalsvannet … Hammeren, wo der 51er-Bus hält … ja, kenne ich.«
– –
»Roter Bauernhof, direkt an der Haltstelle, links vorbei, Feldweg bis zum Ende durch, braune Hütte, in der Nähe der Scheune. Okay.«
Franziska schlug das Herz bis zum Hals. Maridalsvannet, Hammeren, 51, roter Bauernhof, links vorbei, Feldweg bis zum Ende, braune Hütte, Scheune … Maridalsvannet, Hammeren, 51, roter Bauernhof, links vorbei, Feldweg bis zum Ende, braune Hütte , Scheune , sagte sie sich immer wieder.
»Montag früh um zehn«, sagte Leif schließlich. »Ich werde da sein.«
Kapitel 32
Franziska dachte angestrengt nach. Ein ums andere Mal hatte sie das, was sie gehört hatte, in ihrem Kopf hin und her gewälzt. Hatte versucht, seinen knappen Worten einen Sinn zu entlocken und sich das zusammenzureimen, was sein unhörbarer Gesprächspartner gesagt haben mochte. Es schien sich jedenfalls um eine ernste Sache zu handeln, wenn Leif »keinen Bock hatte, in den Knast zu wandern«. Genau das waren seine Worte gewesen. Und was meinte er damit, dass er »nicht mehr mitmachen« wollte und sich »hier ein neues Leben aufgebaut« hatte? Waren sie – Franziskas Familie – etwa sein neues Leben? Was hatte es dann mit seinem alten Leben auf sich?
Was sie aber am meisten aufgeschreckt hatte, war der eine Satz gewesen: » Du hast die Alte doch von der Terrasse gestoßen, verdammt!« Das hörte sich wirklich ziemlich brutal an. Vielleicht hatte sich eine alte Frau verletzt, weil jemand von ihnen unachtsam gewesen war. Und jetzt stritt sich Leif mit seinem Bekannten, wessen Versicherung dafür aufkommen musste.
Am liebsten hätte sie über all das mit Alexander gesprochen. Hätte sich mit ihm beraten, was sie jetzt tun sollten. Aber Alexander war mit seinen Eltern bei irgendwelchen Verwandten und würde erst im Laufe des Montags zurückkommen. Montag war der erste Tag ihrer Osterferien. Lukas übernachtete bei Elias, das hatten sie bereits ausgemacht, und ihre Mutter würde am Montagmorgen ganz normal zur Arbeit fahren …
Ein verwegener Gedanke zuckte durch
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