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Tatortreiniger gesucht: Die schrägsten Berufe der Welt

Tatortreiniger gesucht: Die schrägsten Berufe der Welt

Titel: Tatortreiniger gesucht: Die schrägsten Berufe der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick L. Brille
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ganze Fülle von Nichts erstehen zu lassen. Ihre Produkte haben in aller Regel den Nährwert von Stickstoff und schmecken auch ganz ähnlich. Und weil es zu verhindern galt, dass der konsumierende Mensch sich zwischen seinem Nine-to-Five-Job, dem Besuch der Fresstempel und der Baseballspiele sowie vor oder nach dem täglichen Acht-Stunden-Marathon am TV -Gerät doch noch einmal aus dem Haus schleicht, um sich dieser magersüchtigen Terroreinheit namens »Jogger« anzuschließen, erfand ein genialer Wegelagerer der Futtermittelindustrie die Tiefkühlpizza. Ein Durchbruch in der kulinarischen Geschichte der westlichen Welt, denn außer Baseball – ein US -amerikanisches Alleinstellungsmerkmal – haben sich all die anderen erwähnten Spielarten des American Way of Life längst ihren Weg auf den alten Kontinent gebahnt.
    Nicht, dass wir uns falsch verstehen: Pizza gab es schon vor Dr. Oetker, doch wurde sie seinerzeit noch von dunkelgelockten Luigis und schwitzenden Salvatores in steinernen Öfen gebacken, mit allerlei Küchenresten beworfen und anschließend noch dampfend dem Sechzigerjahre-Gast serviert. Der verwechselte die Pizzeria in der Bielefelder Bahnhofsmeile mit einer neapolitanischen Trattoria. Auf jeden Fall war das Ding so taufrisch wie der junge Morgen und hatte außer jeder Menge Kalorien auch noch Nebenwirkungen wie »Geschmack« und sogar »Sättigungsgefühl«.
    Dies alles muss der heutige Pizza-Konsument in aller Regel nicht mehr befürchten. Natürlich existieren im Oberpfälzer Hinterland und in einigen Ausläufern der Eifel noch Gastlichkeiten, in denen ein glutäugiger Antonio der dritten Generation die Fladen in der väterlichen Backstube per Hand ausrollt. Und Sylvia, seine dralle, blonde Gattin, geht ihm zur Hand. Da schmeckt die »Neapolitana« noch nach Neapel und die Pizza Rosalia noch nach … ach, Sie wissen schon, was wir meinen.
    Antonio und Sylvia jedoch sind die Ausnahme – zumeist werden Pizzas heute maschinell produziert und anschließend schockgefrostet, sodass sie vom Konsumenten im handlichen Zehner-Vorratspack erworben und in der heimischen Tiefkühltruhe zwischengelagert werden können. Optisch so ansprechend wie ein früher Andy Warhol und geschmacklich von der Verpackung kaum zu unterscheiden.
    Und genau hier liegt der Hase im Pfeffer: bei der Verpackung! Tiefgefrorene Pizzas müssen nämlich in Kartons verpackt werden, bevor sie in der Tiefkühltruhe des Supermarkts landen. Auf dem Fließband der meisten Produzenten kommen sie richtig herum, also mit dem Belag nach oben, aus jener finsteren Vorhölle, in der sie mit dem jeweiligen Zutaten-Surrogat versehen wurden. Um jedoch in die Kartons gepackt zu werden, muss der Belag nach unten zeigen, weil die Verpackung so wesentlich einfacher zu handhaben ist. Und weil in unserer hocheffizienten Arbeitswelt ein Ablaufoptimierer – die bebrillte Version einer Zwangsneurose – festgestellt hat, dass das Wenden der Pizzas und das Verpacken derselben in die Kartons zeitsparender funktioniert, wenn es von zwei Menschen in zwei unterschiedlichen Arbeitsschritten erledigt wird, wendet einer und der andere verpackt.
    Super, oder? Doch während der Pizza-Verpacker sich nicht unbedingt als solcher auch zu erkennen geben muss (»Mein Job? Ich bin Packer!«), bleibt dem Pizzawender kaum eine rhetorische Fluchtmöglichkeit. Oder würden Sie vielleicht auf eine Nachfrage verzichten, wenn Ihr Gegenüber seine Arbeit mit den Worten »Äääh – ich drehe so Sachen um« beschreibt?
    Übrigens: Die Arbeit ist nicht nur immens stupide und kann es in punkto Langeweile sogar mit der legendären 697. Folge der Lindenstraße aufnehmen, sondern auch noch richtig krass belastend für das Immunsystem. Am Fließband nämlich ist es eisig kalt, damit die kostbaren Rundlinge nicht am Ende der Produktion doch noch auftauen. Ödnis bei Minusgraden – ein Job für Menschen, die wirklich keine Illusionen mehr haben.
     
Gefahr: * (Das Schnupfenrisiko ist hoch, doch weil die Pizzas eingeschweißt sind, muss der Wender wenigstens keine Angst haben, dauerhaft seinen Geschmackssinn für richtige Nahrung zu verlieren …)
Langeweile: ***** (Langeweile? Okay – stellen Sie sich doch bitte einfach mal die Handbewegung vor, mit der Sie eine tiefgekühlte Pizza wenden. Und nun machen Sie das tausend Mal. Abgesehen von der Sehnenscheidenentzündung … fühlten Sie sich gut unterhalten? Nein? Noch Fragen?)
Seltenheit: *** (Es gibt weltweit ein paar Hundert

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