Tatsache Evolution
berühmte Namen unter seinen 29 geistigen »Urahnen« auf, darunter Richard Owen (1804 – 1892) und Karl Ernst von Baer (1792 – 1876), die in späteren Jahren der Selektionstheorie kritisch gegenüberstehen sollten; zwei renommierte Größen seiner Zeit fehlten jedoch in Darwins Liste: Carl von Linné (Carolus Linnaeus) (1707 – 1778) und Georges Cuvier (1769 – 1832) (Abb. 3.2).
Der Arzt und Naturforscher Linné ist als Begründer der modernen Systematik des Tier- und Pflanzenreiches über die von ihm geprägte binäre Nomenklatur (Gattungs- und Artname zur Kennzeichnung einer Spezies, z. B. Mensch,
Homo sapiens
) neben Darwin zu einer Schlüsselfigur der modernen Biologie geworden. Linnaeus glaubte allerdings, die Arten wären nach einem »göttlichen Plan« erschaffen worden und somit konstante , nicht wandelbare »Schöpfungseinheiten der Natur«. In der 1758 erschienenen 10. Auflage seines Hauptwerks
Systema
Naturae
stellte er den Menschen (
H. sapiens
Linnaeus 1758) folgerichtig in die Klasse der Säugetiere (Mammalia; Ordnung Primates, Herrentiere). Diese Einordnung unserer Spezies in das Tierreich erregte bei seinen theologisch indoktrinierten Kollegen heftigen Widerspruch – der »schöpfungsgläubige« Linné verteidigte seine »evolutionistische« Position dennoch mit großer Vehemenz. Was Darwin nicht wissen konnte: Zum 300. Geburtstag von Linné (Juni 2007) würdigte das Wissenschaftsmagazin
Nature
den von ihm ignorierten schwedischen »Kreationisten« mit einer umfassenden Serie von Publikationen . Der Autor dieses Buches führte in einem Kurzbeitrag die ser |73|
Nature-
Artikel-Reihe den Begriff »Linnésche Taxonomie« ein und kennzeichnete die klassische Systematik als Basisdisziplin der modernen, molekular ausgerichteten Biologie (Kutschera 2007 c).
Abb. 3.2: Vom biblischen Schöpfungsmythos zum naturwissenschaftlich erklärten Artenwandel. Bedeutende Naturforscher, die an eine Erschaffung der Lebewesen geglaubt haben (untere Portraits: Carl von Linné, 1707 – 1778, und Georges Cuvier, 1769 – 1832). Wissenschaftler, die vor Darwin eine graduelle Transformation der Arten (d. h. Evolution) postuliert hatten, sind oben abgebildet (Etienne Geoffroy Saint-Hilaire, 1772 – 1844, und Jean-Baptiste de Lamarck, 1744 – 1829).
|73| Der neben Linnaeus abgebildete Anatom Georges Cuvier (Abb. 3.2) übertrug das Linnésche Klassifikations-System der Lebewesen auf ausgestorbene (
fossile
) Organismen (z. B. Skelette von Wollhaar-Mammuts) und wurde zu einem der Begründer der Fossilienkunde (Paläontologie) (s. Kapitel 7). Cuviers geologisch-paläontologische Studien führten den Forscher zur Formulierung einer speziellen Variante der
Katastrophentheorie
: Die erschaffenen und daher konstanten Arten sollen in regelmäßigen Zeitabständen von Naturkatastrophen vollständig ausgelöscht und dann über Schöpfungsakte des biblischen Gottes neu kreiert worden sein. Der christliche Schöpfungsmythos, mit der Sintflut als bisher letzter Katastrophe , stand im Zentrum dieses religiösen Thesen-Systems, das als
Cuvierismus
bezeichnet werden kann. Zur »Ehrenrettung« von Cuviers Theorie, der die Paläontologie u. a. aus Naturbeobachtungen (verbunden mit seinen religiösen Ansichten) begründet hatte, sei angemerkt, dass wir seit etwa 1980 wissen, dass es im Verlauf der Erdgeschichte
tatsächlich
gewaltige Katastrophen (Massenaussterbe-Ereignisse) gegeben hat, von denen Darwin ebenfalls noch nichts wissen konnte (s. Kapitel 7).
Im Jahr 1796 wurden G. Cuvier, Etienne Geoffroy Saint-Hilaire (1772 – 1844) sowie der bereits erwähnte J.-B. de Lamarck als Professoren an das neu gegründete Pariser
Institut
Nationale
berufen. Die drei Gelehrten (Abb. 3.2) vertraten ganz unterschiedliche Ansichten und trugen u. a. auch kontroverse öffentliche Debatten aus, die unter der Rubrik »Pariser Akademiestreit der Jahre 1830 bis 1832« bekannt geworden sind. Insbesondere der Zoologe Geoffroy Saint Hilaire, der nach vergleichendem Studium der Strukturen lebender und fossiler Tiere eine »Theorie von der Einheit des Bauplanes« formulierte und über ein »Prinzip der Analogien« zur Überzeugung von der Arten-Transformation gelangt war, stritt sich mit dem »Katastrophisten-Kreationisten« Cuvier öffentlich über Jahre hinweg. Wie sein Kollege Lamarck hatte Geoffroy Saint-Hilaire |74| somit
vor
Darwin (1859) den Artenwandel (d. h. die Evolution an sich) als realhistorischen Prozess erkannt.
Zu den Ursachen
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