Tatsache Evolution
hier verwiesen werden soll (Mayr 2004).
Dieser Abschnitt basiert allerdings auf meinen jahrelangen eigenständigen Analysen der Urquellen (Darwin 1859/1872); das bereits von mir veröffentlichte, von Ernst Mayrs Ausführungen in einigen Punkten abweichende »Fünf-Theorien-System « (Kutschera 2008 a) soll hier übersichtlich strukturiert und anhand einer Graphik illustriert werden (Abb. 3.4).
Zunächst folgt eine kurze Charakterisierung der fünf Darwinschen Theorien (bzw. Thesen oder Postulate):
Evolution (Deszendenz mit Modifikation) ist ein realhistorischer Prozess, der stattgefunden hat und andauert. So genannte »Schöpfungsakte« erklären alles und somit nichts.
Gemeinsame Abstammung aller Organismen der Erde: Aus primitiven Vorfahren (Proto-Typen) haben sich alle späteren Lebewesen entwickelt.
Konzept des Gradualismus, d. h. des in Populationen verlaufenden , sich in kleinen Schritten (nicht sprunghaft) vollziehenden Artenwandels.
These von der Vervielfachung der Arten, d. h. der Diversifizierung der Lebensformen im Verlaufe der Generationen-Abfolgen .
|80| Theorie der natürlichen Selektion, d. h. das Darwin-Wallace-Prinzip der »Zuchtwahl in der freien Natur«.
Wir wollen im nächsten Abschnitt diese fünf Darwinschen Theorien separat diskutieren und, wie bereits gesagt, hierbei auf die Original-Literatur zurückgreifen (Darwin 1859/1872). Es sei an dieser Stelle hervorgehoben, dass ich in der Erstauflage meines Lehrbuchs
Evolutionsbiologie
(Kutschera 2001)
vier
Darwinsche Theorien aufgelistet habe (Konzepte 2. – 5.), da die »Evolution an sich« (Theorie Nr. 1) ja schon lange vor Darwin von verschiedenen Naturforschern entdeckt worden war (Junker und Hoßfeld 2001, Mayr 1982, 2001). Da Darwin in seinem Hauptwerk jedoch die Evolutions-Kreations-Debatte
in extenso
ausführte, soll die »Evolution als realhistorischer Vorgang« hier, wie in der Neuauflage des Lehrbuchs (Kutschera 2008 a), als die »erste Theorie« mit aufgenommen und diskutiert werden.
Darwin (1859) beschrieb weiterhin die
sexuelle Selektion
(geschlechtliche Zuchtwahl) als separates Konzept (Abb. 3.5). Man könnte daher auch von sechs Theorien sprechen. Wir wollen hier die sexuelle Selektion als Variante der natürlichen Auslese |81| interpretieren und diese Prozesse unter der Rubrik »Darwins Theorie Nr. 5« diskutieren.
Abb. 3.5: Sexuelle Selektion im Tierreich. Der Blaue Pfau (
Pavo cristatus
) demonstriert sein Prachtgefieder, um Weibchen von seinen männlichen Qualitäten zu überzeugen (A). Brütendes Paar der Amsel (
Turdus merula
) (B). Männchen mit rotem (Carotinoid-reichem) Schnabel haben den größten Fortpflanzungserfolg, da die Schnabel-Röte den braun-schnäbeligen Weibchen einen immunstarken Paarungspartner anzeigt. Das robuste Immunsystem wird zum Großteil auf die Nachkommen vererbt (Resultat: höhere Überlebensrate der Jungvögel).
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|81| Darwinismus, Weismannismus und Dobzhanskyismus
Der Begriff
Darwinismus
wurde von Ernst Haeckel nach 1860 als Synonym für die Inhalte von Darwins
Origin of Species
(1859/1872) im deutschsprachigen Raum verbreitet. Wie im letzten Abschnitt dargelegt, umfasst »der Darwinismus« fünf (bzw. 6) Theorien (bzw. Thesen oder Postulate), die über jahrzehntelange Forschungsarbeiten
im Prinzip
bestätigt werden konnten, in manchen
Details
jedoch weiterentwickelt wurden.
Die
Evolution an sich
(1.)
sensu
Darwin (1859/1872, d. h. »descent with modification«) ist heute als
Tatsache
anerkannt (s. Kapitel 10). Das Darwinsche Postulat vom letzten
gemeinsamen
Vorfahren
(2.), zusammengefasst in dem Satz: »All the organic beings which have ever lived on this earth may be descendend from some one primordial form« (»Alle Organismen, die jemals auf dieser Erde gelebt haben, sind wohl aus einer einzigen Urform entstanden«), wird durch zahlreiche biochemischmolekularbiologische Studien belegt (s. Kapitel 8 und 9). Der
Gradualismus
(3.), von Darwin u. a. über ein philosophisches Argument begründet (»Natura non facit saltum«, d. h. »die Natur macht keine Sprünge«), konnte im Rahmen der modernen Paläobiologie belegt werden, obwohl es Ausnahmen zu dieser »Darwinschen Regel« gibt (s. Kapitel 10). Am Faktum der
Diversifizierung
(4.) oder »Vervielfachung der Arten« im Verlaufe weiter geologischer Zeiträume zweifelt heute kaum noch ein Evolutionsforscher, da es insbesondere bei der Neubesiedelung vakanter Lebensräume immer wieder zu »explosionsartigen « (d. h. in
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