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Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras

Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras

Titel: Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Koeppen
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bauen. ›Es wird ihm nie gelingen mich zurückzuführen, es wird ihm nicht gelingen mich zu ändern.‹ Philipp lag auf dem Patientenbett in Behudes verdunkeltem Behandlungszimmer. Er fuhr immer wieder über die Oder. Immer wieder saß er in einem Zug unter der Glocke der Brücke in einem bleichen verwandelten Licht. Seine Mutter weinte, aber Philipp fuhr in sein Kinderland, er reiste der Kälte, dem Frieden, dem Schnee entgegen. Behude sagte:»Es ist ein schöner Sommertag. Sie haben Urlaub. Sie liegen auf einer Wiese. Sie haben nichts zu tun. Sie sind ganz entspannt.« Behude stand im verdunkelten Zimmer wie eine sanfte Traumfigur über den liegenden Philipp gebeugt. Die Traumfigur hatte ihre Hand sanft auf Philipps Stirn gelegt. Philipp lag auf dem Bett des Arztes in einer Anspannung von Lachlust und Gereiztheit. Da strengte sich der liebe gute Behude so an, verbrauchte sein bißchen Kraft und dachte sich Ferien aus. Philipp machte sich nichts aus schönen Sommertagen. Er hatte keinen Urlaub. Er hatte noch nie in seinem Leben Urlaub gehabt. Das Leben beurlaubte Philipp nie. Man konnte es so sehen. Immer wollte Philipp etwas tun. Er dachte immer an eine große Arbeit, die er beginnen und die ihn vollkommen erschöpfen würde. Er bereitete sich in Gedanken auf diese große Arbeit vor, die ihn anzog und erschreckte. Er konnte mit Recht sagen, die Arbeit lasse ihn nicht los; sie quälte und beglückte ihn, wo er ging und wo er stand und selbst wenn er schlief; er fühlte sich zu dieser Arbeit aufgerufen; aber er tat nie oder nur sehr selten wirklich etwas; er versuchte es nicht einmal. Und so betrachtet, war sein Leben bisher ein einziger langer Urlaub gewesen, ein schlecht verbrachter Urlaub, ein Urlaub bei schlechtem Wetter, in schlechten Unterkünften, in schlechter Gesellschaft, ein Urlaub mit zu wenig Geld. »Sie liegen auf einer Wiese -« Er lag auf keiner Wiese. Er lag auf dem Patientenbett bei Behude. Er war nicht verrückt. Wieviele Irre, wieviele Hysteriker und Neurotiker mochten schon vor ihm auf diesem Entspannungsbett gelegen haben? Immer hatte Behude seinen Patienten schöne Urlaubstage vorgeträumt: Urlaub vom Wahn, Urlaub von der Einbildung, Urlaub von der Angst, Urlaub von der Sucht, Urlaub von den Konflikten. Philipp dachte ›soll ich träumen? ich träume nicht Behudes Traum, Behude sucht auf dem Grunde unseres Seins einen normalen Angestellten zu finden, ich hasse Wiesen, warum soll ich auf einer Wiese liegen? ich liege nie auf einer Wiese, die Natur ist mir unheimlich, die Natur beunruhigt, ein Gewitter beunruhigt mit dem Wechsel der elektrischen Spannung auf der Haut und in den Nerven, es gibt nichts Böseres als die Natur, nur der Schnee ist schön, der leise der freundliche der sanft fallende Schnee‹. Behude sagte: »Sie sind nun völlig entspannt. Sie ruhen aus. Sie sind glücklich. Keine Sorgen können Sie erreichen. Keine schweren Gedanken belasten Sie. Sie fühlen sich richtig wohl. Sie schlummern. Sie träumen. Sie träumen nur angenehme Träume.« Behude zog sich auf Zehenspitzen von Philipp zurück. Er ging in das nicht abgedunkelte Nebenzimmer, in das Zimmer der von Behude nur ungern angewandten, der gröberen psychiatrischen Methoden. Schalttafeln und Elektrisiermaschinen hätten hier Emilia erschreckt, die eine entsetzliche Furcht vor Ärzten hatte und sie alle für Sadisten hielt. Behude setzte sich an seinen Schreibtisch und nahm Philipps Blatt aus der Patientenkartei. Er dachte an Emilia. Er dachte ›sie sind kein normales Ehepaar aber sie sind doch ein Ehepaar, ich halte ihre Ehe sogar für ganz unlöslich obwohl sie zunächst betrachtet mehr eine Perversität als eine Ehe ist, von Philipp und von Emilia war es pervers sich auf eine Ehe einzulassen, aber grade daß sie beide nicht für eine Ehe taugen kittet sie zusammen, ich möchte sie gern zusammen psychotherapeutisch beeinflussen, gemeinsame Heilung des einen durch den andern, aber wozu? wovon will ich sie heilen? sie sind ja so wie sie sind glücklich, wenn ich sie geheilt hätte würde Philipp eine Stellung an einer Zeitung annehmen und Emilia würde mit andern Männern schlafen, lohnte das die Behandlung? ich müßte mehr Sport treiben, ich denke zuviel an Emilias infantile Reize, mit mir wird sie nicht schlafen, bis sie geheilt ist schläft sie nur mit Philipp, Emilia und Philipp leisten sich die Perversität einer normalen Ehe mit Eifersucht Bindung und Treue‹.
    Emilia erkannte Edwin gleich. Sie wußte, daß dieser

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