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Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras

Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras

Titel: Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Koeppen
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marschierte SA, Katzen sollen die Welt anders sehen als wir: nur braun oder gelb, Emilia sieht eine Althändlerstadt eine schmutzfarbene Stadt mit schmutzigen Händlern, sie ist auf der Geldjagd, ihr Dämon hockt ihr im Nacken, sie schleppt ihr Lord-Reise-Plaid zu den Tandlern steigt in ihre Keller steigt hinunter zu Schlangen Fröschen und Lurchen, Hercules schlug die Hydra, Emilias Hydra hat mehr als neun Köpfe, sie hat dreihundertfünfundsechzig Köpfe im Jahr, dreihundertfünfundsechzig Mal gegen das Ungeheuer Geldlosigkeit, sie verkauft was in unserer Wohnung steht, läßt sich von den Lurchen anlangen, es ekelt sie, aber sie treibt Geld auf, nachher vertrinkt sie's, steht im Stehausschank wie jeder Süffel, immer noch ein Gläschen, «Prost, Herr Nachbar», die andern Süffel halten sie für 'ne Nutte, «schlechtes Geschäft heute auf der Straße?» - «schlechtes Geschäft» - «bei dem Wetter» - «bei dem Wetter» - «wie war's denn?» - «war was?» - «mit uns beiden» - «geht nicht» - «bist du?» - «bin» - «Scheißleben» - «trink einen», bald wird sie wie Messalina aussehen, kleiner, zarter, aber doch wie Messalina die Suffvisage die großporige fleckige Haut, Messalina lockt Emilia zu ihren Parties, will sie Alexander vorwerfen dem Erzherzogfrauentraum oder den kessen Vätern, wundert sich daß Emilia nicht kommt, Emilia macht sich nichts aus Orgien sie macht sich nichts aus Messalmas Verzweifelten, Emiliaist für sich verzweifelt braucht keine andere Verzweiflung, sie sagt sie renne für mich durch die Stadt, damit ich mein Buch schreiben könne, haßt mich dafür wenn sie nach Hause kommt, wenn ich was geschrieben hätte, würd sie's zerreißen, Emilia meine Ophelia: o-pâle-Ophélia-belle-comme-la-neige, ich liebe dich aber du trenntest dich besser von mir, du wirst auch allein untergehen, du wirst von deinen Häusern erschlagen werden, du liegst schon lange unter deinen Häusern begraben, du bist nur noch ein kleines zartes tobendes versoffenes Gespenst der Verzweiflung, meine Schuld? ja, meine Schuld, jedermanns Schuld, alte Schuld, Urväterschuld, Schuld von weither, wenn sie tobt schreit sie ich sei ein Kommunist, hat es dazu gelangt? es hat nicht dazu gelangt, ich hätte Schriftsteller sein können, ich hätte auch Kommunist sein können, alles verfehlt, Kisch sagte im Romanischen Café »Genosse« zu mir, ich sagte »Herr Kisch«, ich mochte ihn: Kisch rasender Reporter wohin raste er? ich verabscheue die Gewalt, ich verabscheue die Unterdrückung, ist das Kommunismus? ich weiß es nicht, die Gesellschaftswissenschaft: Hegel Marx: die Dialektik die marxistisch-materialistische Dialektik - nie begriffen, Gefühlskommunist: immer auf der Seite der Armen sinnlos empört, Spartakus Jesus Thomas Münzer Max Hölz, was wollten sie? gut sein, was geschah? man tötete sich, kämpfte ich in Spanien? mir schlug die Stunde nicht, ich drückte mich durch die Diktatur, ich haßte aber leise, ich haßte aber in meiner Kammer, ich flüsterte aber mit Gleichgesinnten, Burckhardt sagte mit Leuten seiner Art sei kein Staat zu machen, sympathisch, aber mit Leuten dieser Art ist auch kein Staat zu stürzen, keine Hoffnung, für mich nicht mehr, Behude sagt für mich gäbe es Hoffnung, Rilke-Lyrik: von-einer-Kirche-die-im-Osten-steht, verschwommen, kein Weg, der Osten in mir: die Kinderlandschaft, meine recherche-du-temps-perdu, suchet-so-werdet-ihr-finden, Gerüche, die Bratäpfel, Geräusche, das knisternde Fell der Katze, das Knirschen der Kufen derHolzschlitten auf dem Eis, die einsam auf dem See ihre Pirouetten tanzende nacktbeinige Eva: Schnee Frieden Schlaf -‹
    Schlaf, aber keine Heimkehr, keine Einkehr, ein Fall, ein Gefälltwerden. Wie ein schwerer Stein ins Wasser, massig, empfindungslos, sank Alexander in seiner Wohnung in Schlaf. Im Darsteller des Erzherzogs lebte kein Traum. Er hatte sich unausgezogen auf ein Sofa geworfen; hier hatte in der Nacht die tribadische Alfredo gelegen; in Alexander war keine Wollust. Er war nur müde. Er hatte es satt. Satt die Erzherzogrolle. Satt die blödsinnige Sprechwalze des Erzherzogs. Satt das geborgte Heldentum. Was tat er im Krieg? Er spielte. Er war reklamiert. Was spielte er? Ritterkreuzheldenflieger. Er stürzte viermal glücklich ab, nachdem seine Feinde und Rivalen weniger glücklich im Staub zerschmettert lagen. Er hatte nie in einem fliegenden Flugzeug gesessen. Er fürchtete sich schon, wenn er eine Verkehrsmaschine benutzen sollte. Als die

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