Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras
Welt. Er schuf Platz für Carla. Er schuf Platz für ein Kind. Wenn Washington nur immer ordentlich laufen, immer schneller laufen würde, hätten sie alle Platz in der Welt.
»War doch in Form.« - »Natürlich war er in Form.« - »War doch in Form, der Nigger.« - »Sag nicht Nigger.« - »Ich sag, daß er in Form war.« - »Er war großartig in Form.« -»Du hast gesagt, er war nicht.« - »Ich hab gesagt, er war. Washington ist immer in Form.« - »Du hast gesagt, der Nigger deiner Mutter war nicht.« - »Halt's Maul, Depp.« -»Wetten? Du hast gesagt.« - »Ich sag, halt's Maul, Lump, krummer.« Sie prügelten sich am Ausgang des Stadions. Heinz schlug sich für Washington. Er hatte nie gesagt, daß Washington nicht in Form sei. Washington war großartig in Form. Er war überhaupt großartig. Schorschi, Bene, Kare und Sepp umstanden die Kinder, die sich prügelten. Sie sahen zu, wie sich die Kinder ins Gesicht schlugen. »Gib's ihm!« rief Bene. Heinz hörte auf zu schlagen. »Wegen dir nicht, Strizzi.« Er spuckte Blut aus. Er spuckte es Bene vor die Füße. Bene hob die Hand. »Laß ihn«, sagte Schorschi. »Wirst dich aufregen! Laß ihn, den Deppen.« - »Selber 'n Depp«, schrie Heinz. Doch er wich etwas zurück. »Das Spiel war fad«, sagte Sepp. Er gähnte. Die Burschen hatten die Karten vom amerikanisch-deutschen Jugendklub bekommen. Die Karten hatten sie nichts gekostet. - »Was machen wir jetzt?« fragte Kare. »Weiß nicht«, sagte Schorschi. »Weißt du's?« fragte er Sepp. »Nee. Weiß nicht.« - »Kino?« meinte Kare. »Ich kenn schon alles«, sagte Schorschi. Erkannte alle laufenden Kriminalfilme und Wildweststreifen. »Mit'm Kino is nichts.« - »Wenn's schon Abend wäre«, sagte Bene. »Wenn's schon Abend wäre«, echoten die andern. Sie setzten irgendwelche Hoffnungen auf den Abend. Sie zogen nach vorne übergebeugt, die Hände in den Jackentaschen, die Ellbogen nach außen gestemmt, mit müden Schultern, wie nach schwerer Arbeit, aus dem Stadion. Die goldene Horde. »Wo's der Köter?« schrie Heinz. Während er sich prügelte, hatte Heinz den Bindfaden losgelassen. Der herrenlose kleine Hund war weggelaufen. Er war im Gedränge verschwunden. »Verdammt«, sagte Heinz, »ich brauch' den Köter heut abend.« Er wandte sich wütend an seine Gefährten. »Ihr hättet auch aufpassen können, ihr Rotzbibben. Der Köter war zehn Dollar wert!« - »Hättest selber aufpassen können, Niggerbankert, dreckiger.« Sie prügelten sich wieder.
Washington stand unter der Brause in den Duschräumen des Stadions. Der kalte Strahl ernüchterte ihn. Sein Herz zuckte. Für einen Augenblick blieb ihm die Luft weg. Scharfer Schweiß spülte mit dem Wasser von ihm runter. Er war noch gut in Form. Sein Körper war noch gut in Form. Er reckte die Muskeln, hob seine Brust, Muskeln und Brust waren in Ordnung. Er befühlte seine Geschlechtsteile. Sie waren gut und in Ordnung. Aber das Herz? Aber die Atmung? Sie machten ihm zu schaffen. Sie waren nicht in Ordnung. Und dann der Rheumatismus! Vielleicht würde er doch nicht mehr lange aktiv sein können. Auf dem Sportplatz würde er nicht mehr lange aktiv sein können. Zu Haus und im Bett würde er noch lange aktiv sein. Was konnte er tun? Was konnte er für sich, für Carla, für das Kind tun, und vielleicht auch für den kleinen Jungen, den Heinz? Er hatte genug gebraust. Er trocknete sich ab. Er konnte den Dienst quittieren, die horizontblaue Limousine verkaufen, noch ein Jahr als Sportsmann arbeiten und dann vielleicht in Paris ein Lokal aufmachen. In Paris hatte man keine Vorurteile. Er konnte in Paris sein Lokal aufmachen: Washington's Inn. Er mußte mit Carla reden. Er konnte mit Carla in Paris leben, ohne daß sie mit jemand wegen ihres Lebens Differenzen kriegen würden. Sie konnten in Paris das Lokal aufmachen, sie konnten sein Schild raushängen, konnten es mit bunten Glühbirnen beleuchten, sein Schild NIEMAND IST UNERWÜNSCHT . In Paris würden sie glücklich sein; sie würden alle glücklich sein. Washington pfiff ein Lied. Er war glücklich. Er verließ pfeifend den Duschraum.
Doktor Frahm wusch sich. Er stand im Waschraum der Schulteschen Klinik und wusch sich die Hände. ›In Unschuld alter Pontius Pilatus ein schönes Gefühl, er wusch die Hände mit einer guten Seife und schrubbte die Finger mit einer scharfen Bürste. Er fuhr mit den Borsten der Bürste unter die Nägel der Finger. Er dachte Hauptsache keine Infektion, er dachte ›muß mir schon
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