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Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras

Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras

Titel: Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Koeppen
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nicht Feinde? Konnte man ihnen trauen? Miss Wescott hatte eine Nachricht im Hotel zurückgelassen, daß Kay sich sofort ein Taxi nehmen und ins Amerikahaus fahren solle. Miss Wescott verstand Miss Burnett nicht. Miss Burnett sagte, Kay würde jemand kennengelernt haben. War das Kay zuzutrauen? Sie war jung und unerfahren. Es konnte nicht sein. Miss Burnett sagte: »Sie wird jemand kennengelernt haben, der sie besser unterhält, als wir es können.« -»Und da bleiben Sie so ruhig?« - »Ich bin nicht eifersüchtig. « Miss Wescott kniff die Lippen zusammen. Diese Burnett war unmoralisch. Und Kay war einfach ungezogen. Sonst war es nichts. Kay hatte sich verlaufen oder die Zeit vertrödelt. Die Lehrerinnen gingen über den großen Platz, eine von Hitler entworfene Anlage, die als Ehrenhain des Nationalsozialismus geplant war. Miss Wescott machte auf die Bedeutung des Platzes aufmerksam. Im Gras hockten Vögel. Miss Burnett dachte ›wir verstehen nicht mehr als die Vögel von dem was die Wescott quatscht, die Vögel sind zufällig hier, wir sind zufällig hier, und vielleicht waren auch die Nazis nur zufällig hier, Hitler war ein Zufall, seine Politik war ein grausamer und dummer Zufall, vielleicht ist die Welt ein grausamer und dummer Zufall Gottes, keiner weiß warum wir hier sind, die Vögel werden wieder auffliegen und wir werden weitergehen, hoffentlich läßt unsere Kay sich auf keine Dummheit ein, es wäre dumm wenn sie sich auf eine Dummheit einließe, der Wescott kann ich das nicht sagen die würde verrückt werden, aber Kay lockt die Verführer an, sie kann nichts dafür, sie lockt sie an wie dieVögel den Jäger oder den Hund‹. »Was ist mit Ihnen?« fragte Miss Wescott Miss Burnett. Miss Wescott war befremdet; Miss Burnett hörte ihr nicht zu. Miss Wescott fand, daß die Burnett das Gesicht eines ausgehungerten Jagdhundes hatte. »Ich schau mir nur die Vögel an«, sagte Miss Burnett. »Seit wann interessieren Sie sich für Vögel?« fragte Miss Wescott. »Ich interessiere mich für uns«, sagte Miss Burnett. »Das sind Spatzen«, sagte Miss Wescott, »gewöhnliche Spatzen. Achten Sie lieber auf die Weltgeschichte.« - »Das ist dasselbe«, sagte Miss Burnett, »es spielt sich alles unter Spatzen ab. Auch Sie sind nur ein Spatz, liebe Wescott, und unser Spätzchen, die Kay, fällt grade aus dem Nest.« - »Ich verstehe Sie nicht«, sagte Miss Wescott spitz, »ich bin kein Vogel.«
    Philipp ging in den Saal des alten Schlosses, in dem der Staat einen Weinausschank eingerichtet hatte, um den Absatz des heimatlichen Weinbaus zu fördern. Der Saal war um diese Zeit sehr besucht. Die Beamten der zahllosen Ministerien und Staatskanzleien tankten hier ein wenig Fröhlichkeit, bevor sie nach Hause gingen, nach Hause zu ihren Frauen, zu ihren herzlosen Kindern, zu dem lieblos aufgewärmten Essen. Es war eine Männerwelt. Es waren wenig Frauen da. Nur zwei Redakteurinnen waren da. Aber das waren keine richtigen Frauen. Sie gehörten zum Abendecho. Sie löschten im Wein den Brand ihrer Schlagzeilen. Philipp dachte, daß er heimgehen, daß er zu Emilia gehen müsse. Aber er wollte doch auch zu Edwin gehen, obwohl die Begegnung mit Edwin so peinlich verlaufen war. ›Wenn ich jetzt nicht zu Emilia gehe, kann ich heute überhaupt nicht mehr nach Hause gehen‹ dachte Philipp. Er wußte, daß Emilia sich betrinken würde, wenn sie ihn am Abend nicht zu Hause fände. Er dachte ›ich würde mich in unserer Wohnung allein mit all den Tieren auch betrinken, ich würde mich betrinken wenn ich mich überhaupt betrinken würde, ich betrinke mich schon lange nicht mehr‹. Der Wein, den es imalten Schloß gab, war gut. Aber Philipp mochte auch keinen Wein mehr. Er war sehr begabt, sich zu freuen, aber er hatte die Lust an fast allen Freuden verloren. Er war fest entschlossen, zu Emilia zu gehen. Emilia war wie Doktor Jekyll und Mister Hyde in der Geschichte von Stevenson. Philipp liebte Doktor Jekyll, eine reizende und gutherzige Emilia, aber er haßte und fürchtete den widerlichen Mister Hyde, eine Emilia des späten Abends und der Nacht, die ein wüster Trunkenbold und eine geifernde Xanthippe war. Wenn Philipp jetzt nach Hause ginge, würde er noch den lieben Doktor Jekyll treffen, besuchte er aber Edwins Vortrag, würde der entsetzliche Mister Hyde auf ihn warten. Philipp überlegte, ob er sein Leben mit Emilia nicht anders führen, ob er es nicht ganz anders gestalten könnte. ›Es ist meine Schuld, wenn sie

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