Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras
fahren, jetzt hatte ihr Herz sich beruhigt. Sie fuhr keiner Magazin-Traum-Wohnung entgegen mit Liegestühlen, Fernsehapparatur und mechanischer Küche. Es war ein Traum gewesen. Ein Traum, der Carla gequält, weil sie in ihrem innersten Herzen immer gefürchtet hatte, das Traumland nicht zu erreichen. Die Last dieser Sehnsucht war nun von ihr genommen. In ihrem Zimmer hatte sie sich wie erschlagen gefühlt. Als Washington sie zum Auto führte, war sie nicht mehr alsein Sack an seinem Arm gewesen, ein schwerer Sack mit irgendeiner toten Füllung. Jetzt war sie befreit. Sie war nicht von dem Kind befreit, aber von dem Traum an die faule Glückseligkeit des Daseins, an den Schicksalsbetrug durch einen Knopf, an dem man drehen konnte. Sie glaubte wieder. Sie glaubte Washington. Sie fuhren am Fluß entlang, und Carla glaubte an die Seine. Die Seine war nicht so weit wie der Mississippi, sie war nicht so fern wie der Colorado. An der Seine würden sie beide zu Hause sein. Sie würden beide Franzosen werden, wenn es sein mußte, sie, eine Deutsche, würde Französin werden, und Washington, ein schwarzer Amerikaner, würde Franzose werden. Die Franzosen freuten sich, wenn einer bei ihnen leben wollte. Carla und Washington würden das Lokal errichten, Washington's Inn, die Wirtschaft, in der niemand unerwünscht ist. Ein Wagen überholte sie. Christopher und Ezra saßen in dem Wagen. Christopher freute sich. Er hatte in einem Antiquitätengeschäft eine Tasse der Berliner Porzellanmanufaktur gekauft, eine Tasse mit dem Bild eines großen preußischen Königs. Er würde die Tasse mit an die Seine nehmen. Er würde sie im Hotel an der Seine Henriette schenken. Henriette würde sich über die Tasse mit dem Bild des preußischen Königs freuen. Henriette war eine Preußin, wenn sie jetzt auch eine Amerikanerin war. ›All diese Nationalitäten sind Unsinns dachte Christopher, ›wir sollten Schluß damit machen, natürlich ist jeder auf seinen Heimatort stolz, ich bin stolz auf Needles am Colorado, aber deshalb schlag ich doch noch keinen tot.‹ - ›Wenn's nicht anders geht, schlag ich ihn tot‹, dachte Ezra, ›ich nehm einen Stein und schlag ihn tot und dann schnell in das Auto hinein, der Hund muß vorher schon in das Auto hinein, die Dollar kriegt er nicht der Kraut, wenn Christopher bloß schnell und genügend Gas gibt.‹ Ezras kleine Stirn war schon seit Stunden in besorgte Falten gelegt. Christopher hatte Ezra die zehn Dollar gegeben. »Nun wirst du also nicht verlorengehen«, hatte er gescherzt, »oder wenn duverlorengehst, wirst du mit Hilfe der zehn Dollar wieder zu mir finden.« - »ja, ja«, hatte Ezra gesagt. Die Sache schien ihn nicht mehr zu interessieren. Er hatte die zehn Dollar gleichgültig eingesteckt. »Kommen wir rechtzeitig ins Bräuhaus?« fragte Ezra. »Was willst du nur im Bräuhaus?« erkundigte sich Christopher. »Andauernd fragst du, ob wir rechtzeitig hinkommen.« - »Nur so«, sagte Ezra. Er durfte nichts verraten. Christopher würde dagegen sein. »Aber wenn wir die Brücke erreicht haben, kehren wir um«, bohrte Ezra. »Natürlich kehren wir dann um. Warum sollten wir nicht umkehren?« Christopher wollte noch schnell die Brücke sehen, von der es im Reisehandbuch hieß, daß sie einen romantischen Blick über das Flußtal biete. Christopher fand Deutschland schön.
Behude konnte in drei Stehausschänke gehen. Von draußen sahen sie alle gleich aus. Es waren die gleichen Behelfsbauten, sie hatten die gleichen Flaschen im Fenster, die gleichen Preise auf der Tafel stehen. Der eine Ausschank gehörte einem Italiener, der andere einem alten Nazi und der dritte einer alten Dirne. Behude wählte den Ausschank des alten Nazis. Emilia trank manchmal beim alten Nazi ein Glas. Es war Masochismus von ihr. Behude lehnte sein Fahrrad an die bröckelnde aus Preßmüll gefertigte Mauer des Ausschanks. Der alte Nazi hatte schlaffe Wangen, und eine dunkle Brille verdeckte seine Augen. Emilia war nicht da. ›Ich hätte doch zur alten Dirne gehen sollen‹ dachte Behude, aber nun war er schon beim alten Nazi. Behude verlangte einen Wodka. Er dachte ›wenn er keinen Wodka hat, kann ich wieder gehen ‹. Der alte Nazi hatte Wodka, eigentlich bin ich der Typ für Mineralwasser‹ dachte Behude, ›Sportsmann, hätte nicht Psychiater werden sollen, ruiniert einen.‹ Er trank den Wodka und schüttelte sich. Behude mochte keinen Alkohol. Aber zuweilen trank er ihn aus Trotz. Er trank nach der Sprechstunde. Er
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