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Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras

Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras

Titel: Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Koeppen
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unglücklich ist, warum verschaffe ich ihr kein Glück?‹ Er dachte daran, aus dem Haus in der Fuchsstraße auszuziehen, aus der verfallenen Villa, die Emilia so bedrückte. Er dachte ›wir könnten in eins ihrer unverkäuflichen Landhäuser ziehen, die Häuser sind mit Mietern besetzt, die Mieter gehen nicht raus, schön, dann bauen wir uns eben eine Hütte im Garten, andere haben es auch getan. Er wußte, daß er nichts bauen würde, keine Hütte, kein Haus im Freien. Emilia würde aus der Fuchsstraße nicht ausziehen. Sie brauchte die Luft des Familienzwistes, den Anblick des immer nahen Geldverhängnisses. Und auch Philipp würde nie aufs Land ziehen. Er brauchte die Stadt, auch wenn er in der Stadt arm war. Er las manchmal Gartenbücher und bildete sich ein, im Züchten von Pflanzen Frieden zu finden. Er wußte, daß es eine Einbildung war. Er dachte ›auf dem Lande, in der selbstgebauten Hütte, wenn wir sie bauten, würden wir uns zerfleischen, in der Stadt lieben wir uns noch, wir tun nur so als ob wir uns nicht liebten‹. Er zahlte den Wein. Leider hatte er am Tisch der Abendecho-Damen den Redakteur des Neuen Blattes übersehen. Der Redakteur machte Philipp Vorwürfe wegen des unterlassenen Interviews. Er erwartete, daß Philipp nunwenigstens zu Edwins Vortrag gehen und über ihn für das Neue Blatt berichten würde. »Gehen Sie doch«, sagte Philipp. »Nee, wissen Se«, antwortete der Redakteur, »für den Schmonzes hab ich Sie. Da müssen Sie mir schon den Gefallen tun.« - »Zahlen Sie mir ein Taxi?« fragte Philipp. »Schreiben Sie's auf die Spesen«, sagte der Redakteur. -»Gleich«, sagte Philipp. Der Redakteur holte einen Zehnmarkschein aus seiner Tasche und reichte ihn Philipp. »Wir verrechnen es nachher«, sagte er. ›So weit ist es mit mir gekommen‹ dachte Philipp, ›ich verkaufe mich und Edwin.‹
    Von der Schlägerei am Heiliggeistplatz erschreckt, von den Polizeisirenen verwirrt und begleitet, eilte Messalina in die stille Bar des Hotels. Messalina war so mit Spannung geladen, daß sie meinte, in der Stille zerplatzen zu müssen. ›Ist denn niemand hier?‹ dachte sie. Alleinsein war schrecklich. Messalina war aus dem Dirnenlokal zurück in die Bezirke der ihrer Meinung nach guten Gesellschaft geflohen, der guten Gesellschaft, an deren Rande sie gern räuberte. Messalina trennte sich nie ganz von der Gemeinschaft der gesitteten Klasse. Sie gab nichts auf. Sie wollte etwas dazu haben. Die Gemeinschaft der gesitteten Klasse war ein Halt; von dort aus konnte sie sich mit der ungesitteten verbrüdern, eine vorübergehende Sinnenverbrüderung mit der Schicht treffen, die sie für das Proletariat hielt. Die Ahnungslose! Sie hätte nur Philipp zu fragen brauchen. Philipp hätte beredte Klage darüber geführt, wie puritanisch gesonnen das Proletariat war. Philipp war kein besonders ausschweifender Mensch. Messalina hielt ihn für einen Mönch. Aber das war was anderes. Philipp klagte oft: »Ein puritanisches Jahrhundert zieht herauf!« Er berief sich dabei in etwas unklarer Weise auf Flaubert, der das Aussterben des Freudenmädchens bedauerte. Das Freudenmädchen war gestorben. Philipp hielt den Puritanismus der Arbeiterschaft für ein Unglück. Philipp wäre sehr für die Aufhebung des Eigentums, aber er wäre entschieden gegeneine Einengung der Freude gewesen. Übrigens machte er einen Unterschied zwischen Freuden- und Trauermädchen; zu den Trauermädchen zählte Philipp die gesamte landläufige Prostitution. ›Was für hemmungslose Menschen‹, dachte Messalina, ›sie prügelten sich.‹ In Messalinas Haus wurde nur in ästhetisch schicklicher Weise nach gemessenem Ritus geschlagen. Messalina sah sich um. Die Bar schien wirklich leer zu sein. Doch nein, in der hintersten Ecke saßen zwei Mädchen: Emilia und die kleine Amerikanerin mit den grünen Augen. Messalina stellte sich auf Zehenspitzen. Das große Denkmal, das sie war, schwankte gefährlich. Sie wollte die Kleinen beschleichen. Die Mädchen tranken, lachten, sie umarmten und küßten sich. Was ging da vor? Was für einen komischen Hut hatte Emilia auf? Sie hatte nie einen Hut getragen. Wie die meisten unsicheren Menschen glaubte Messalina gern, daß andre sich gegen sie verschworen, daß sie Geheimnisse hatten, von denen Messalina ausgeschlossen blieb. Die kleine grünäugige Amerikanerin war beunruhigend. Mit Philipp hatte die Grünaugige gesprochen, und nun wurde sie in Umarmungen und Küssen, es waren kleine

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