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Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras

Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras

Titel: Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Koeppen
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»Herr, du hast diese Stadt zerstört, und du wirst sie wieder zerstören, denn sie gehorchen dir nicht und mißachten dein Wort, und ihr Geschrei ist ein Greuel vor deinen Ohren.« Hillegonda hörte von draußen gellende Rufe, und es war, als ob Steine gegen die Tür der Kirche geworfen würden. »Emmi, hörst du? Emmi, was ist das? Man will uns was tun, Emmi!« - »Es ist der Teufel, Kind. Der Teufel geht um. Bete nur! Ach-Herr-erlöse-uns!«

Sie lagen hinter Mauerschutt und Steinen aus dem Bombeneinschlag der Kirche. Die Meute ging gegen sie vor, Susanne dachte ›worauf laß ich mich ein? ich bin verrückt daß ich mich darauf einlasse, aber die haben mich gestern verrückt gemacht bei Alexander, und jetzt laß ich mich drauf ein‹. Jimmys-Boogie-Woogie. »Geld«, sagte Odysseus. Er brauchte Kapital. Er war im Krieg. Er war wieder im alten Krieg Weiß gegen Schwarz. Auch hier wurde der Krieg geführt. Er brauchte Geld zum Kriegführen. »Geld! Schnell!« Odysseus packte Josef. Josef dachte ›es ist wie am Chemin-des-Dames, der Schwarze ist nicht der Teufel, er ist der Reisende den ich getötet habe, er ist der Turko der Senegalese den ich getötet habe auf meinem Ausflug in Frankreichs Josef wehrte sich nicht. Er erstarrte nur. Vor seinen alten Augen verwandelte sich das Bild seiner Kinderlandschaft noch einmal in ein europäisches Schlachtfeld mit außereuropäischen Kämpfern, fremden Reisenden, die töten wollten oder getötet wurden. Josef hielt krampfhaft den Koffer fest. Der Koffer war sein Dienst. Für das Tragen des Koffers war er bezahlt worden. Er mußte ihn festhalten, Jimmys-Boogie-Woogie -
    Sie standen sich gegenüber, Freunde? Feinde? Gatten? sie standen sich in Carlas Zimmer gegenüber, in der Hurenwohnung der Frau Welz, in einer Welt der Unzucht und Verzweiflung, und da sie in einer Welt der Unzucht und Verzweiflung lebten, schrien sie einander an, und Frau Welz verließ die Hexenküche, den Herd mit den brodelnden Dämpfen, schlich durch den Korridor und zischte durch die spaltbreit geöffneten Türen der Mädchenzimmer, wo sie sich bereit machten, nackend, in Höschen, in schmierigen Schlafmänteln, bei der Toilette aufgeschreckt, beim Anlegen der Schönheit für den Abend, nicht fertig geformte, erst halb gepuderte Gesichter, sie vernahmen das Wirtinnengezisch, den geilen Jubel in der Stimme, daß Böses geschah: »jetzt prügelt er sie, der Nigger, jetzt schlägt er sie. Jetzt zeigt er's ihr. Ich hab mich schon lange gewundert, daß er's ihr nicht zeigt.« Washington schlug sie nicht. Gegen seine Brust schlugen Teller und Tassen, zu seinen Füßen lagen die Scherben: die Scherben seines Glücks? Er dachte ›ich kann gehen, wenn ich meine Mütze nehme und gehe wird das alles hinter mir liegen, vielleicht werde ich es vergessen, es wird garnicht gewesen sein‹. Carla schrie, ihr Gesicht war tränen verschwollen: »Du hast mir den Doktor vermiest.Du falscher Kerl! Du bist bei Frahm gewesen. Meinst, ich will deinen Bankert haben? Meinst, ich will ihn haben? Mit Fingern würden sie auf mich weisen. Ich pfeif auf dein Amerika. Auf dein dreckiges schwarzes Amerika. Ich bleib hier. Ich bleib hier ohne deinen Bankert, und wenn ich bei drauf gehe, ich bleib!« Was hielt ihn zurück? Warum nahm er nicht seine Mütze? Warum ging er nicht? Vielleicht war es Trotz. Vielleicht war es Verblendung. Vielleicht war es Überzeugung, vielleicht Glaube an den Menschen. Washington hörte, was Carla schrie, aber er glaubte ihr nicht. Er wollte das Band, das nun zu reißen drohte, das Band zwischen Weiß und Schwarz, nicht lösen, er wollte es fester knüpfen durch ein Kind, er wollte ein Beispiel geben, er glaubte an die Möglichkeit dieses Beispiels, und vielleicht forderte auch sein Glaube Märtyrer. Für einen Augenblick dachte er wirklich daran, Carla zu schlagen. Es ist immer die Verzweiflung, die prügeln will, aber sein Glaube überwand die Verzweiflung. Washington nahm Carla in seine Arme. Er hielt sie fest in seinen kräftigen Armen. Carla zappelte in seinen Armen wie ein Fisch in der Hand des Fischers. Washington sagte: »Wir lieben uns doch, warum sollen wir's nicht durchstehen? Warum sollen wir's nicht schaffen? Wir müssen uns nur immer lieben. Wenn alle andern uns beschimpfen: wir müssen uns liebhaben. Noch als ganz alte Leute müssen wir uns lieben.«
    Odysseus schlug mit dem Stein, oder ein Stein, den die Meute geworfen hatte, schlug gegen Josefs Stirn. Odysseus riß das Geld, den Schein, den er

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