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Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras

Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras

Titel: Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Koeppen
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Mädchenpensionatsküsse, mit Emilia überrascht. Wer war die kleine Reizende? Wo hatten Philipp und Emilia sie aufgetrieben? Vielleicht kommen sie doch auf meine Party, dann werden wir weiter sehen‹ dachte Messalina. Aber da sah sie Edwin, und sie stellte sich wieder auf die Füße. Vielleicht konnte sie Edwin gewinnen. Edwin war der größere, wenn auch weniger wohl schmeckende Fisch. Edwin kam mit schnellen Schritten in die Bar und eilte zur Theke. Er flüsterte mit dem Mixer, Der Mixer goß Edwin den Cognac in ein großes Rotweinglas. Edwin trank das Glas aus. Er hatte Lampenfieber, Vortragsfieber. Er bekämpfte die Erregung mit Cognac. Vor dem Hotel wartete schon der Wagen des Konsulats. Edwin war ein Gefangener seiner Zusage. Ein entsetzlicher Abend! Warum hatte er sich nur drauf eingelassen? Eitelkeit! Eitelkeit! Eitelkeit der Weisen. Warumwar er nicht in seiner Klause geblieben, der behaglichen mit Büchern und Antiquitäten vollgestopften Wohnung? Neid auf den Ruhm der Schauspieler, Neid auf den Beifall, mit dem man den Protagonisten überschüttete, hatte ihn hinausgetrieben. Edwin verachtete die Schauspieler, die Protagonisten und die Menge, von der sie lebten und mit der sie lebten. Aber ach, es war eine Verführung, der Beifall, die Menge, die Jugend, die Jünger, sie waren Lockung und Verführung, wenn man so lange wie Edwin am Schreibtisch gesessen und sich einsam um Erkenntnis und Schönheit, aber auch um Anerkenntnis gemüht hatte. Da war die gräßliche Gesellschaftsjournalistin, das Treppenweib wieder, dieser Geschlechtskoloß, sie starrte ihn an, er mußte fliehen. Und Kay rief zu Emilia: »Da ist Edwin! Siehst du ihn nicht? Komm mit! Ich muß zu seinem Vortrag. Wo ist der Zettel von der Wescott? Komm doch mit! Bald hart ich's vergessen!« Emilia blickte Kay auf einmal böse an: »Geh mir mit deinem Edwin! Ich verabscheue die Literaten, diese Schießbudenfiguren! Ich rühr mich nicht!« - »Aber er ist ein Dichter«, rief Kay, »wie kannst du so was sagen!« -»Philipp ist auch ein Dichter«, sagte Emilia. »Wer ist das, Philipp?« fragte Kay. »Mein Mann«, sagte Emilia. ›Sie ist verrückt‹, dachte Kay, ›was will sie? sie ist verrückt, sie ist doch gar nicht verheiratet, sie kann doch nicht erwarten, daß ich hier sitzen bleibe, ich bin schon ganz betrunken, ich habe genug verrückte Weiber in meiner Reisegesellschaft, aber sie ist entzückend, diese kleine verrückte Deutschem Sie rief: »Wir sehen uns noch!« Sie warf Emilia eine Kußhand zu, eine letzte flüchtige Geste. Sie wirbelte zu Edwin. Sie hatte Whisky getrunken; jetzt würde sie Edwin ansprechen; sie würde ihn um das Autogramm bitten; sie hatte Edwins Buch nicht mehr in der Hand, wo war es nur? wo lag es wohl? aber Edwin konnte das Autogramm auf den Block des Mixers schreiben. Doch Edwin eilte schon fort. Kay rannte ihm nach. Emilia dachte ›es geschieht mir recht, jetzt kommt auch noch Messalina‹. Messalina schaute empörthinter Edwin und Kay drein. Was war das schon wieder? Warum stürmten die fort? Hatten sie sich gegen Messalina verschworen? Emilia würde es ihr erklären müssen. Aber Emilia war auch verschwunden, sie war durch eine Tapetentür verschwunden. Auf dem Tisch lag neben den leeren Gläsern nur der komische Hut, den Emilia aufgehabt hatte. Er lag da wie eine erlittene Enttäuschung. ›Es ist Hexerei‹, dachte Messalina, ›es ist die reine Hexerei, ich bin ganz allein auf der Welt.‹ Sie wankte, eine für den Augenblick Gebrochene, zur Theke. »Einen Dreifachen«, rief sie. »Was soll's denn sein, gnädige Frau«, fragte der Mixer. »Ach irgendwas. Ich bin müde.« Sie war wirklich müde. So müde war sie lange nicht gewesen. Sie war auf einmal furchtbar müde. Aber sie durfte nicht müde sein. Sie mußte ja noch zum Vortrag, sie mußte ja noch so viel für die Party organisieren. Sie griff nach dem hohen Glas, über das wasserhell der Schnaps schwippte. Sie gähnte.
    Der Tag war müde. Das Abendlicht des Himmels, die untergehende Sonne schien direkt in die horizontblaue Limousine hinein, und für einen Augenblick blendete das Licht Carla und Washington. Das Licht blendete, aber es reinigte und verklärte auch. Carla und Washington hatten erleuchtete Gesichter. Erst nach einer Weile stellte Washington den Blendschutz ein. Sie fuhren langsam am Ufer des Flusses entlang. Gestern hätte Carla noch geträumt, sie würden auf dem Riverside Drive in New York oder am Golden Gate in Kalifornien so spazieren

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