Taubenkrieg
Emils größte Sorge. »Ich hab auch die Ohrstöpsel dabei.«
»Klar!« Die Kosian bot ihm den gestreiften Sitzsack in der Ecke beim Fenster an, ein Möbel, auf dem niemals jemand freiwillig gesessen hatte. Wenckes Sohn hingegen schien mit dem Platz mehr als zufrieden, keine Minute später war er versunken in eine Welt, wo das größte Problem darin bestand, genug Tortenstücke zu essen oder einen Gorilla vom Kettcar zu schubsen. Wencke entschied sich für den einzelnen Korbsessel, der war zwar unbequem, aber man konnte schnell wieder aufstehen und von hier verschwinden.
Boris legte die Lose-Blätter-Sammlung vor sich auf den Glastisch und kam gleich zur Sache: »Gestern auf der Pressekonferenz habe ich ganz schön eins auf die Mütze gekriegt, nachdem ich die Essenz deines Berichts vorgetragen habe.«
»Aber …«
»Schon okay, du brauchst dich nicht zu verteidigen, Wencke. Ich hatte nämlich ehrlich gesagt den Eindruck, dass deine – beziehungsweise unsere – Arbeit von allen die fundierteste war. Der Rest ist nach einer guten halben Stunde im Chaos versunken. Gegenseitige Kriegserklärungen zwischen den
Doves
und den
Gangsters
, daneben achselzuckende Polizisten und Staatsanwälte. Ein Trauerspiel!«
|44| »Gab es denn neue Erkenntnisse?«
Die Kosian, die sich inzwischen links von Wencke auf dem Sofa platziert hatte, sah aus, als hätte sie sich heute schon mehrfach geärgert, die steile Falte zwischen den gezupften Brauen hatte bereits ihre Schatten ins Gesichtspuder geschlagen. »Soweit wir wissen, sind die Ergebnisse der Rechtsmedizin bezüglich der Identifizierung des Opfers heute Morgen eingegangen.«
»Und?«
»Tja, wenn wir das wüssten. Die haben sich in Schwerin ein bisschen angestellt, Informationen rauszurücken. Aber wir haben den Bericht umgehend angefordert. Müsste jeden Moment durchs Fax rauschen.«
»Schon ein Verdacht, wer das Opfer ist?«
»Wenn, dann würden wir wohl als Letzte davon erfahren. Offiziell ist das LKA Niedersachsen nämlich raus aus der Sache. So lautet die eindeutige Anweisung der Landesbehörden. Dem Schweriner Oberstaatsanwalt Gauly sei Dank.«
Wencke war die Aussage zwischen den Zeilen nicht entgangen. »Und inoffiziell?«
Boris und die Kosian wechselten die Blicke.
»Ich bin jetzt aber nicht so auf den letzten Drücker hier angereist, damit Sie dann einen auf Geheimniskrämerei machen.«
Jetzt wanderten die Augen der Kollegen vielsagend in Emils Ecke.
»Der bekommt nichts mit. Wenn er erst mal spielt …« Wencke klatschte in die Hände, sagte Emils Namen in durchdringender Lautstärke, rief ihn sogar einmal. »Sehen Sie: Nichts! Also, was ist los?«
»Wir werden trotzdem dranbleiben an dem Fall«, flüsterte die Kosian. »Das Innenministerium hier in Hannover ist sehr unglücklich über den Verlauf der Sache, was nichts mit uns zu |45| tun hat als vielmehr mit der Befürchtung, dass der in absehbarer Zeit entflammende Rockerkrieg sich bald schon ausweiten wird.«
»Die Jungs halten sich kaum an irgendwelche Landesgrenzen«, ergänzte Boris. »Und da sich alle Chapter der einzelnen Motorradclubs unterstützen, wird es mit ziemlicher Sicherheit auch in Niedersachsen, Hamburg und Bremen zu Überfällen und dergleichen kommen …«
Das leuchtete Wencke ein. »Soweit ich weiß, unterstützen sowohl die
Red Wheels
als auch
Body Of Riders
die Teufelstauben …«
Boris tippte auf eine Landkarte, auf der mit verschiedenen Abzeichen die Verbreitung der niedersächsischen Motorradclubs geortet war. »Und
Leading Leather
– immerhin allein im Großraum Hannover einige Dutzend Mann stark – wird sich auf die Seite der
Gangsters
schlagen. Das Ganze kann rasch ausufern …« Boris machte eine weitreichende Geste. »… was deswegen heikel ist, da das LKA im gesamten norddeutschen Bereich gerade erfolgreich seine V-Männer eingeschleust hat. Wir sind so dicht dran, die Strukturen etlicher Clubs zu durchleuchten und eventuell einige wegen übelster Machenschaften hochgehen zu lassen. Ein Krieg würde die langwierige Arbeit der Kollegen mit einem Schlag zunichtemachen.«
»Wir haben es hier immerhin mit dem organisierten Verbrechen zu tun«, glaubte die Kosian, Wencke erklären zu müssen.
Wencke schaute von einem zum anderen und hätte fast gekichert, weil alles hier so aussah, als wollten Boris und die Kosian die Welt retten. Aber es war nicht witzig, es war kein Spaß, sonst hätten sie Wencke in den Urlaub fahren lassen. »Wenn ich richtig
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