Taubenkrieg
Gesicht. »Alles okay, spiel weiter!«
Boris zwinkerte Emil zu, doch als er sich sicher war, dass die Aufmerksamkeit des Jungen wieder ausnahmslos auf den Minibildschirm gebannt war, beugte er sich vor.
»Der Plan ist folgender: Ich werde ganz offiziell als Berater bei den Kollegen in Meckpomm tätig werden. Sie werden das Angebot kaum ausschlagen können, wenn Ihnen ein Experte für Rocker zur Seite steht.« Er kramte ein paar Schriftstücke hervor, allem Anschein nach hatte er schon Nägel mit Köpfen gemacht und den entsprechenden Dienstweg angetreten. »Morgen fange ich an.«
»Das ist schön und gut, erklärt aber mit keiner Silbe, wo ich bei der ganzen Sache einsteigen soll.« Wencke wusste, dieser Einsatz war wahrscheinlich schon bis ins Detail durchgeplant und sie dabei fest einkalkuliert worden. Trotzdem erschien es ihr wie ein schlechtes Drehbuch, in dem sie auch noch die glatte Fehlbesetzung sein würde. »Selbst wenn mich am Tatort keiner gesehen hat, mein Name steht bereits offiziell unter dem Gutachten, und jedes Kleinkind ist jetzt in der Lage, alles über mich in Erfahrung zu bringen. Wie ich aussehe: klein und |49| rothaarig! Wo ich wohne: Hannover Limmer am Kanal! Wahrscheinlich findet man im Netz noch ganz andere Dinge, von denen ich lieber nicht wissen möchte, dass sie für jedermann zugänglich sind. Bestimmt haben die Teufelstauben längst ihre Erkundigungen eingeholt.«
»Wir haben lange hin und her überlegt und natürlich auch diese Probleme durchgesprochen, aber wir kommen immer wieder zu dem Resultat, dass Sie die richtige Person sind.«
»Und warum?«
»Als Frau wird es einfacher, sich den Rockern zu nähern«, erklärte Boris. »Es dauert manchmal Jahre, bis ein Mann Mitglied im Club wird, das hat mit dem grundliegenden Misstrauen, mit Konkurrenzkampf und typisch männlichem Revierverhalten zu tun. Bei Frauen sind sie weniger skeptisch.«
»Das leuchtet mir ein. Aber warum ausgerechnet ich? Haben wir keine andere LK A-Frau , die mit mehr Muskeln ausstaffiert ist?«
»Es kommt nicht auf Muskeln an, das wissen Sie selbst doch am besten«, sagte die Kosian. »Wir sind alle der Meinung, dass sich dieser zugegeben riskante Einsatz lohnt, wenn dadurch die Theorie vom Rockerkrieg möglichst bald widerlegt wird. Dafür wird jemand gebraucht, der sich kein X für ein U vormachen lässt und in der Lage ist, sich als Person einzubringen. Also ein gewinnendes Wesen hat.« Sie räusperte sich. »So wie Sie eben.« Mehr Lob wollte der Kosian einfach nicht über die rot bepinselten Lippen kommen. Aber auch das war schon eine ganze Menge aus diesem Munde.
»Soll ich mich vielleicht verkleiden? Ein paar Tattoos am Oberarm und so?«
Boris lachte und kassierte einen bösen Blick vom Sofa gegenüber.
»Sie könnten die Haare färben, schwarz zum Beispiel«, |50| schlug die Kosian vor. »Wir besorgen Ihnen einwandfreie Papiere. Die Leute im Innenministerium, denen wir mit dieser Aktion einen großen Gefallen tun, können uns da so ziemlich alles ermöglichen.«
»Ich hätte gerne blonde Locken bis zum Po«, scherzte Wencke, doch außer ihr lachte niemand. »Gut, dann jetzt im Ernst: Selbst wenn es irgendwie gelingen sollte, mich bei denen einzuschleusen, bin ich doch für die Kripo Schwerin keine Unbekannte, und die ganze Aktion fliegt schneller auf, als ich meine ersten Nasenpiercings gestochen habe.«
»Wachtel und seine Truppe sind ebenfalls raus aus dem Fall.« Boris lächelte dünn, als könnte er sich nicht wirklich über diese Neuigkeit freuen. »Auch in Schwerin hat das LKA übernommen. Wegen der erwarteten landesweiten Ausschreitungen.«
»Wie schon gesagt, wir haben uns diesen Plan nicht in der Eckkneipe bei einem Glas Bier zusammengeschustert, Frau Tydmers. Zugegeben, das Ganze ist nicht ungefährlich, aber das LKA ermittelt auch nicht das erste Mal auf diese Weise, und wir werden sicher eine gute Möglichkeit finden, Sie einzuschleusen.« Die Kosian schien inzwischen etwas ungeduldig zu werden. Ob es an Wenckes mangelnder Begeisterung oder an etwas anderem lag, war nicht auszumachen, doch die Stimmung drohte, ins Gereizte zu kippen. »Jetzt kommt es darauf an, ob wir mit Ihnen rechnen können oder nicht.« Sie stand auf, lief zum Fenster und schaute hinaus.
Es war eindeutig: Für Wenckes Vorgesetzte ging es hier um mehr als nur einen Mordfall, bei dem die Leiche bislang fehlte. Die Kosian war berechnend, zielstrebig – und wenn nicht gerade vom Ehrgeiz zerfressen, so aber mit
Weitere Kostenlose Bücher