Taubenkrieg
Sicherheit schon ziemlich davon angeknabbert. Der Fall in seinem ganzen Ausmaß war ihre Chance, sich als Abteilungsleiterin zu profilieren. Wenn ihr die Gratwanderung zwischen zwei Kriminalämtern |51| gelang, würde sie mehr als nur ein dickes Lob einheimsen, so viel stand fest. Zu dumm nur, dass sie dabei auf Wencke angewiesen sein würde … Und noch dümmer, dass sie es bislang versäumt hatte, ein gutes kollegiales Verhältnis zu ihrer Mitarbeiterin aufzubauen. Die Kosian sah aus, als ginge ihr das alles gerade durch den Kopf. Und es lag einzig und allein an Wencke, wie lange ihre Chefin sich diesen noch zerbrechen musste. Ob es die Entscheidung leichter machte, wenn man die Möglichkeit hatte, jemanden in die Pfanne zu hauen, der es auch verdient hätte? Zumal ein Ja zu diesem Plan ein Nein zum Zelten an der Nordseeküste mit Emil bedeuten würde, zumindest fürs Erste.
Ein Klopfen an der Tür und das anschließende Eintreten des Praktikanten erlösten Wencke vorerst von ihrer Gewissensfrage. »Das Fax ist da!«, sagte der junge Kerl und reichte Boris einen kleinen Stapel bedruckter Blätter. »Und es gab zeitgleich einen Anruf von der Rechtsmedizin: Sie sollen die Angelegenheit bitte diskret behandeln. Was immer das auch heißen mag.« Achselzuckend zog er sich wieder zurück.
Die Kosian schnappte sich die Papiere und las darin, als würde sie sich von Informationen ernähren und wäre bis eben kurz vorm Verhungern gewesen. »Die Analyse ist abgeschlossen, sie haben das Genmaterial entschlüsseln können.« Rasch schoben ihre lackierten Nägel die einzelnen Seiten auseinander. Dann stockte sie. »Wahnsinn!« Mehr brachte sie nicht hervor.
»Ist die DNA registriert?« Boris war inzwischen auch aufgestanden und versuchte, einen Blick auf das Gutachten zu werfen. »Kellerbach? Leo Kellerbach ist der Tote?«
Wencke wusste, sie hatte diesen Namen irgendwo schon einmal gehört, kramte in ihrem Gedächtnis und fand die Erinnerung, dass Kellerbach ein Mitglied der
Devil Doves
war. »Der – Rockeranwalt?«
|52| Boris nickte. »Sein Platz bei der Pressekonferenz gestern ist frei geblieben. Die meisten dachten, er wollte mit diesem Mordfall lieber nichts zu tun haben, aber …«
»Er selbst ist das Opfer, kein Zweifel.« Die Kosian blätterte zurück, erst jetzt studierte sie die ausführlichen Details des Schreibens. »Seine Gendaten wurden vor drei Jahren gespeichert, als die Teufelstauben unter Generalverdacht standen, illegale Prostituierte zu beschäftigen. Da wurden einige von ihnen zur Ader gelassen und entsprechend archiviert.« Sie schnaubte beinahe amüsiert. »Damals war das bestimmt ein Ärgernis für die Jungs. Heute erweist es sich als ein Segen: Hätte man zum Blut am Tatort nicht die passende Person im Computer gehabt, wäre das Rätselraten wahrscheinlich endlos zäh geworden.«
»Laut unseren Informationen sind rund sechzig Prozent aller
DD
-Mitglieder vorbestraft, die Wahrscheinlichkeit, die Daten zu finden, war also relativ hoch.« Boris erweckte den schlummernden Laptop und rief in rasantem Tempo ein Bild und jede Menge Wissenswertes über den Advokaten auf. Leo Kellerbach sah weder wie ein richtiger Rocker aus noch wie ein anständiger Anwalt. Das Foto, das vor drei Jahren auch im Archiv der Kriminalämter gelandet war, zeigte einen Mann um die vierzig mit markantem Kinn, halblangem Haar und von sportlicher, ziemlich breiter Gestalt. Typen dieser Art konnte man sich genauso gut auf dem Sitz einer Harley als auch am Tresen einer Champagnerbar vorstellen. In Anwaltsrobe sah er wahrscheinlich aus wie bei Barbara Salesch aus dem Gerichtssaal entlaufen – und in lederner Kutte* wie der junge Dennis Hopper.
Die Kosian musste sich wieder setzen, diese Nachricht schien sie tatsächlich umgehauen zu haben. »Das macht die Sache nicht einfacher«, seufzte sie.
»Inwiefern?«
»Sollte der Mord an Kellerbach tatsächlich auf das Konto |53| der
G-Point -Gangster
gehen, wäre die Rache der Teufelstauben grausam. Der Anwalt war einer der der wichtigsten und schillerndsten Figuren in ihren Reihen.«
»Moment mal, ich dachte, wir wären uns einig, dass es sich hier um eine Beziehungstat handelt?«
»Ja, aber sind wir da nicht die Einzigen weit und breit?« Die Kosian klopfte mit den Fingern auf das Fax, als könne sie dadurch die Wahrheit ausmachen. »Sollte Leo Kellerbach ein Gespräch unter vier Augen geführt haben, ohne dass seine Jungs davon etwas wussten, und gipfelte dieser Streit in
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