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Taubenkrieg

Taubenkrieg

Titel: Taubenkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Lüpkes
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passierte doch nichts. Im Gegenteil, er war es, der einem passierte. Leo, der Löwe, der sich überall seinen Weg freiräumte, der wegschob, was ihm in die Quere kam. Sie hatte ihn sogar ausgelacht, als er ihr diesen Auftrag gegeben hatte. Und nun kroch sie hier durch Gräben.
    |61| An dieser Stelle war der Aufstieg weit steiler als gedacht, und es gab nichts, woran sie sich hätte hochziehen können. Also griff sie in die trockenen Grassoden, Erde schob sich unter ihre langen Nägel, sie hasste dieses Gefühl, aber so kam sie wenigstens aus dem Loch. Die Straße war heikel, denn sollte einer der Bullen doch mal seinen Blick heben, würde er sie höchstwahrscheinlich entdecken. Der Wagen stand mit Blickrichtung zu ihr, und der Mond setzte ausgesprochen ungünstig einen Spot durch die Lücke des Blätterdachs auf genau diese paar Meter, die sie zu bewältigen hatte. Sie musste schnell sein und sich klein machen, los!
    Ihr Fuß knickte um, als sie den ersten Schritt auf die Schotterstraße gesetzt hatte. Keine Stöckelschuhe, hatte Leo gesagt, also trug sie Sneaker. Doch auf denen bewegte sie sich nicht unbedingt souveräner. Scheiße, der Schmerz zerrte an ihrer Sehne wie ein Metallgitarrist an der Saite seines Instruments, wenn er es zum Jaulen bringen wollte. Aber Heide blieb still. Weiter!
    Sie erreichte das Stromhäuschen und mit ihm den Schatten, der sie wieder von der Bildfläche verschwinden ließ. Durchatmen, nach den paar Metern hechelte sie bereits wie ein Hund, der Stöckchen holte. Sehr viel anders benahm sie sich auch nicht. Leo hatte sie dressiert. Sie fragte nicht nach dem Warum, wenn er ihr Kommandos gab. Sie führte sie einfach aus und bekam dafür eine Belohnung. Seinen Duft. Das war ihr genug.
    Die Tasche war schwer und sperrig. Immer wenn das Glas aneinanderrieb, spannte sich ihre Haut am ganzen Körper. Wie gefährlich war das Zeug eigentlich? Heide gönnte sich eine Pause und presste sich gegen die raue Mauer des Stromhäuschens. Innen surrte der Transformator in hoher Frequenz. Wie eine Hundepfeife, dachte sie, und ich kann sie hören. Ich bin ein scheiß artiges, braves Haustier. Herrchen pfeift, ich renne. So fühlt es sich richtig an für mich. Und so bleibt er |62| lebendig. Ich kann ihm gehorchen, auch wenn er tot ist. Fast machte der Gedanke sie glücklich. Doch Heide konnte sich nicht zu viel Zeit lassen für solche Überlegungen. Es muss schnell gehen, hatte Leo gesagt. Und danach gleich wieder los. Dann bist du auf der sicheren Seite. Dich hat keiner auf dem Schirm, Baby, dich lassen sie in Ruhe.
    So schlimm waren die Dornen nicht, da hatte der Graben sie mehr zerschlissen. Das Loch in der Mauer stellte ebenfalls kein Hindernis dar. Sie war schließlich schlank und klein. Dahinter befand sich ebenfalls ein Gebüsch, so hatte Leo es auch beschrieben. Rechts herum, ungefähr dreißig Meter, dann müsste es genau passen. Das hatte sich leichter angehört, als es nun tatsächlich war. Wie weit waren dreißig Meter, wenn man nichts hatte, an dem die Entfernung abzuschätzen war? Außerdem knallte auf der anderen Seite der Mauer, fast genau auf ihrer Höhe, eine Autotür. Die abgelenkten Wächter hatten sich wohl wieder an ihren Job erinnert.
    »Ich vertrete mir nur mal kurz die Füße«, sagte eine etwas zu hohe Männerstimme. Die Schritte waren gut wahrnehmbar. Sohlen scharrten im Sand, blieben stehen, scharrten. Dann hörte sie ein Plätschern. Der Bulle pisste gegen die Mauer. Keine Armlänge von ihr entfernt. Er musste viel getrunken haben, es dauerte ewig. »Was für ’ne laue Sommernacht, komm doch auch raus«, sagte er, nachdem er seinen Reißverschluss geräuschvoll wieder hochgezogen hatte. »Da wird man wieder fit.« Er gähnte laut.
    »Nee, danke, ich trinke lieber ’nen Kaffee«, meinte der andere, der noch im Auto zu sitzen schien. »Ist auch noch ein Rest für dich in der Kanne. Komm her, Uwe, kleines Kaffeekränzchen, und danach machen wir unseren Spaziergang, okay?«
    Die Sohlen scharrten wieder. »Klingt gut!« Autotür zu und Stille.
    |63| Viel Zeit blieb also nicht mehr. Heide machte Tempo, stieg über einige Mülltüten hinweg, verhedderte sich kurz in einer Schlinge aus Absperrband, bis sie das Fenster erkennen konnte. Es befand sich an der Rückseite des Hauses und war schwarz bepinselt wie die anderen auch. Da liegen überall Steine rum, hatte Leo gewusst und wie immer recht behalten. Aber bevor du die Scheibe einschlägst, musst du die Flaschen schon bereitstellen

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