Taubenkrieg
Zunge heraus. Lang und respektlos, das tat gut. Jetzt konnte sie weiterspielen. »Na ja, ich danke euch jedenfalls, dass Emil bei euch unterkommt. Meine Mutter ist in einer Woche wieder da und könnte ihn hier abholen, falls sich mein Einsatz bis dahin nicht erledigt hat.«
»Ricarda wird sich freuen. Sie wünscht sich ohnehin einen kleinen Bruder.« Kerstin seufzte. »Leider muss ich derzeit noch zu viele Medikamente nehmen, aber sobald das vorbei ist, legen Axel und ich dann richtig los!«
Das war zu viel. Wencke stand auf, dankte knapp für den Tee, von dem sie keinen Schluck getrunken hatte, und ging nach oben. Auf halber Strecke, zwischen einer Schwarz-Weiß-Aufnahme |69| von zwei lächelnden Menschen in Brautkleid und Smoking und einem selbstgemalten Kinderbild, welches von Ricarda signiert worden war, stieß sie mit Axel zusammen.
»Hoppla!«, sagte er laut. Dann hob er seine rechte Hand und strich mit den Fingern über ihre Wange. Hatte sich etwa eine Träne blicken lassen? Nein. Zum Glück nicht.
»Und? Wie ist deine Schlafhöhle?«, rief Wencke nach oben. Sie nahm seine Finger, führte sie an ihre Lippen, küsste kurz, er schmeckte nach Seife.
»Super, Mama! Ich find es super hier!«
Axel sah blass aus. Seine dunklen Haare könnten mal wieder einen Friseurbesuch vertragen, und die grauen Strähnen waren auch neu, wenn sie sich nicht täuschte. War er dünner geworden? Er sah aus, als wäre er in den letzten Wochen als Spüllappen benutzt worden, dabei hatte er doch seinen Dienst zurückgeschraubt. Oder stresste ihn vielleicht gerade das? Zu viel Familienidylle?
»Schön, dich zu sehen«, flüsterte er.
»Du hast dich seit Ewigkeiten nicht gemeldet«, zischte sie.
»Ich weiß, ich …«
»… du hast keine Zeit zum Reden, fährst lieber Motorrad, oder was?« Wenckes Handy ging los, und sie wusste nicht, war das jetzt genau der richtige oder der grundverkehrte Zeitpunkt. »Meine Chefin!«
Die Kosian hielt sich nicht lange mit Guten-Morgen-Grüßen auf, sondern kam gleich zur Sache: »Wir haben Glück im Unglück. Den
Devil Doves
ist heute Nacht die Bude abgefackelt worden.«
Wencke deutete an, ungestört sein zu wollen, und verschwand im erstbesten Zimmer. Doch als sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, wurde ihr klar, dass sie das eheliche Schlafgemach gewählt hatte. Gott sei Dank war das Bett gemacht, |70| zerwühlte Kissen hätten sie jetzt total aus der Bahn geworfen.
»Frau Tydmers? Haben Sie mich verstanden?«
»Ja.« Sie wandte sich in eine andere Richtung, spiegelte sich im Schlafzimmerschrank, sah sich selbst matt auf die hübsch geblümte Tagesdecke sinken. »Brandstiftung? Weiß man, wer es war?«
»Die Polizei tippt natürlich mal wieder auf die Rocker. Allerdings sind sie etwas kreativer als sonst und glauben nicht, dass die feindlichen
Gangster
dahinter stecken, sondern die Teufelstauben selbst. Die Molly ist nämlich zielgenau im Büro des Clubhauses gelandet. Und da gab es bestimmt jede Menge Akten, die schnell vernichtet werden sollten, bevor der Antrag auf eine ausgiebige Hausdurchsuchung beim Richter abgestempelt wird.«
»Und worin besteht da jetzt unser Glück?« Eine Kleenexbox auf dem Nachtschränkchen, toll. Hier basteln sie also demnächst an Ricardas Wunschbrüderchen.
»Wir haben dadurch eine gute Möglichkeit, Sie unauffällig in Meckpomm einzuführen, unsere Leute sind seit heute Morgen dran. Es gibt ein leer stehendes Gelände in Schwerin, das als neues Clubhaus geeignet wäre. Es liegt am Ziegelsee, falls Ihnen das was sagt. Die Rocker müssen nämlich so schnell wie möglich ein anderes Zuhause finden, das hat was mit Status und Gebietsanspruch zu tun, zumindest behauptet Boris Bellhorn das.«
»Und welche Rolle ist mir da zugedacht?«
»Sie sind die Verpächterin der Hütte.«
»Ich glaub’s ja nicht. So was fliegt doch sofort auf!«
»Nein. Die tatsächliche Besitzerin lebt seit Jahren auf Mallorca und hat die Verwaltung ihres Grundstückes vor zehn Minuten gern an uns abgetreten. Sie heißt Christine Frey und ist ungefähr in Ihrem Alter.«
|71| »Ich verstehe«, sagte Wencke wenig überzeugt. »Und diese Christine Frey taucht jetzt wieder auf, ist ungefähr eins sechzig groß und hat wahrscheinlich kurze, schwarz gefärbte Haare …«
»So ähnlich hatten wir uns das gedacht. Es gibt auf dem Grundstück etwas abseits gelegen ein Gartenhaus, vielleicht gelingt es uns, Sie dort unterzubringen. Dann wären Sie ganz dicht dran am
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