Taubenkrieg
Frau zuliebe eingerichtet hatte.
Kerstin bewegte sich in ihrer Wohnung, als hätte sie Augen wie ein Luchs. »Wir sind gerade mit dem Frühstück fertig. Möchtet ihr noch Tee?«
Emil rief so begeistert »Ja!«, dass Wenckes »keine Umstände machen« nicht zu verstehen war.
»Tja«, erklärte sie. »Meine Anweisungen vom LKA müssen jeden Moment kommen, und dann muss ich los.«
»Ist nicht so schlimm«, fand Emil. »Wo schlafe ich, Axel?«
»In einer Matratzenhöhle auf dem Dachboden. Komm, du Racker, ich zeig es dir!« Die beiden verschwanden über die Treppe ins Obergeschoss. Wencke blieb verloren zwischen Küchen- und Wohnzimmertür zurück. Ihr passte das alles nicht so recht. Es war zu gefährlich. Zwar standen die Chancen gut, dass Emil bislang nichts mitbekommen hatte vom Liebesleben seiner Mutter, aber er war ein helles Köpfchen, und es war nicht auszuschließen, dass er doch irgendetwas ausplapperte, was für Kerstins Ohren eher ungeeignet war.
»Was ist das für ein Fall, an dem du dran bist?«, fragte Kerstin, die am Herd eine gute Figur machte, Kekse in eine Schale legte, Teewasser aufgoss.
»Darf ich leider nicht sagen, du weißt schon.«
»Emil erzählte am Telefon, es ginge um diesen Rockerkrieg?«
»Da muss er was verwechselt haben.«
»Axel ist ja jetzt auch unter die Rocker gegangen. Er hat sich letzten Monat ein Motorrad gekauft. Eine echte Harley. Ich glaube, er wird langsam alt.« Kerstin fand das anscheinend witzig, aber Wencke ärgerte sich maßlos. Nie hatte Axel ihr gegenüber erwähnt, dass er Ambitionen zum Motorradfahren hatte, geschweige denn, so eine Maschine anschaffen wollte.
|67| »Wie stehen ihm denn die Lederklamotten?«, fragte Wencke, und erst da fiel ihr auf, wie dämlich die Frage war. »Oh, entschuldige.«
»Schon okay. Sagen wir es so: Es fühlt sich zumindest ganz gut an, wenn er sie trägt. Aber ich weiß nicht, ob ich das wirklich sehen möchte.« Kerstin ließ sich nichts anmerken. Sie balancierte das Tablett zum Küchentisch. »Setzen wir uns doch, bis du abkommandiert wirst. Ist schon ’ne Ewigkeit her, dass wir Gelegenheit für ein Pläuschchen hatten. Damals, als unsere Kinder noch in Windeln steckten, haben wir das viel öfter gemacht.«
Das war auch, bevor du dich an Axel rangeschmissen hast, dachte Wencke, setzte sich aber artig auf einen der pastellfarbenen Küchenstühle. Wer hatte die denn ausgesucht? Axel wohl kaum. Und Kerstin war die Farbe ja wahrscheinlich egal, oder? Jetzt wagte sie einen genaueren Blick auf ihre Kontrahentin. Der Schuss damals hatte nur knapp die wichtigsten Regionen im Hirn verfehlt, und sie war wirklich froh gewesen – trotz aller Eifersucht –, dass Kerstin nicht daran gestorben war. Von der Verletzung war nichts mehr zu sehen, lediglich eine hauchdünne Narbe am Haaransatz verriet, dass überhaupt einmal irgendetwas an dieser Frau kaputtgegangen war. »Wie war die Operation?«
»Ganz gut.« Kerstin schenkte den Tee ein und kleckerte nicht. »Es besteht sogar Hoffnung, dass mit entsprechender Stimulation die Sehnerven wieder ihren Dienst aufnehmen. Wer weiß, vielleicht kann ich doch irgendwann noch einmal meine Tochter aufwachsen sehen.«
Drück du nur auf die Tränendrüse, giftete Wencke stumm und rührte umso lauter ihren Tee.
Kerstin legte den Kopf schief. »Ist was?«
Und ob, dachte Wencke und sagte: »Nein.«
»Axel meinte, du hättest vielleicht ein Problem wegen der |68| Sache damals … und meiner Behinderung.« Kerzengerade saß diese Frau ihr gegenüber, schaute Löcher in die Luft, nippte am Tee, lächelte – und hatte keine Ahnung.
»Wie kommt er darauf?«
»Ich habe lange mit ihm darüber gesprochen, warum du uns nie besuchen kommst. Immerhin haben er und Emil ja ein klasse Verhältnis, und auch wir beide waren mal so gut wie befreundet. Jedenfalls, bis die Sache mit dem Schusswechsel passiert ist.«
Nein, so unwissend kann Kerstin nicht wirklich gewesen sein. Die Stimmung zwischen ihnen war schon vorher in die Kältezone gerutscht.
»Es hat damals ein paar Momente gegeben, in denen ich anders hätte reagieren können – und dann wärst du nicht in diese Kugel reingelaufen. Das macht mir natürlich manchmal zu schaffen.«
»In diesem Satz stecken jede Menge Konjunktive. Was passiert ist, ist passiert. Und mir geht es gar nicht so schlecht. Ich bin glücklich, habe eine gesunde Tochter und einen wunderbaren Ehemann …«
Wencke konnte nicht anders, sie streckte dieser blöden Pute die
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