Taubenkrieg
Leos Schwester sie taxierte, war scharf wie die nackte Klinge eines Samurai-Schwertes. So eine wie dich hätte er sich nie ausgesucht, las sie die Gedanken der Frau gegenüber. So eine blasse, nichtssagende, graue Maus wie dich hätte Leo links liegen lassen.
»Er hat mich gebeten, Ihnen das hier zu geben, sollte ihm etwas zustoßen.«
Heide fühlte den dicken Umschlag in dem Stoffbeutel, auf den das Logo eines Berliner Biomarktes gedruckt war. Genau so hatte Tim Beisse ihr die Unterlagen gestern überreicht, und sie hatte Wort gehalten und keinen noch so kleinen Blick hinein riskiert. Heide wollte eigentlich auch gar nicht wissen, was sich darin befand. Das war ihr egal. Hauptsache, sie konnte machen, was Leo von ihr erwartet hatte. Dieser Gedanke machte sie einfach glücklich.
»Er hat Sie gebeten …?« Nun setzte Nikola sich doch in ihrem Stuhl auf, dabei war sie eindeutig bemüht, immer noch gelassen zu wirken. Sie deutete auf den Beutel. »Und was soll das sein?«
|146| »Papiere.« Heide umklammerte den Beutel.
»Das ist doch wohl ein Scherz, oder?«
Als Heide allen Mut zusammennahm und sich einfach auf den anderen Platz am Tisch setzte, protestierte Nikola nicht.
»Wie heißen Sie eigentlich?«
»Heide Grensemann.«
»Und Sie sind also eines von Leos Mädchen?«
Das süffisante Lächeln auf den geschminkten Lippen war eine einzige Gemeinheit. Heide wusste, worauf diese Frau anspielte, so blöd war sie schließlich auch nicht. Aber was sollte sie darauf antworten? Nein, ich bin keine Nutte, ich arbeite ganz solide beim Gewerbeamt? Einen solchen Satz würde sie nicht aussprechen können, er würde so nach Verteidigung klingen, also schwieg sie. Es spielte keine Rolle, was Leos Schwester von ihr dachte. Wichtig war nur, dass sie diese Tasche mit Inhalt überbrachte und die wenigen auswendig gelernten Anweisungen dazu gab. Ihren Stolz hatte sie ohnehin schon lange irgendwo anders liegen lassen. Weit weg.
Die Kellnerin blieb stehen und fragte Heide nach ihrem Wunsch. Dass das hier alles möglichst schnell vorbei sein möge, würde sie antworten, wenn sie ehrlich wäre. Stattdessen bestellte sie sich eine Cola.
»Wie kommt es denn, dass mein Bruder mir nie etwas über diese angebliche Affäre erzählt hat?«
»Er wollte es nicht an die große Glocke hängen. Das war eine Sache nur zwischen uns beiden.« Mist, der Satz klang, als müsse sie sich für irgendetwas rechtfertigen. Nikola Kellerbach war eine intelligente Frau, raffiniert, hatte Leo mal gesagt. Dieses Gespräch konnte nur unfair ausgehen. Besser, sie ließ sich nicht provozieren.
»Und?« Nikola streckte den Arm aus, als erwarte sie einen Handkuss. »Geben Sie mir jetzt diese geheimnisvollen Papiere?«
|147| »Das kann ich nicht so einfach, dazu muss ich ein paar Sachen erklären …«
»Dann erklären Sie mal. Fünf Minuten habe ich noch Zeit.«
»Dazu brauche ich nicht mal eine Minute.« Die Kellnerin brachte die Cola, und Heide trank das Glas in einem Zug leer. Das tat gut, jetzt konnte sie starten. »Sie sollen den Umschlag auf jeden Fall allein aufmachen. Es gibt niemanden, dem Sie vertrauen können, ich betone das extra: niemanden. Der Inhalt ist gefährlich. Wenn Sie alles gelesen haben, werden Sie wissen, was zu tun ist.«
»Und das sollten Sie mir ausrichten?«
Heide nickte. Dann reichte sie Nikola den Stoffsack, und es kam ihr vor, als wöge das Ding einen Zentner, denn als sie es los war, fühlte sie sich unglaublich erleichtert. Sie hatte es geschafft! Als sie ihr Portemonnaie herauskramte, um das Getränk zu bezahlen, winkte Nikola gönnerhaft ab. »Geht auf mich.«
»Danke.« Sie stand auf, ihre Beine hatten endlich wieder die nötige Stabilität. »Tschüss dann.«
»Einen Moment noch!«, hielt Nikola sie auf, zog sie am Jackenärmel zu sich herunter und flüsterte: »Sind Sie von den
Devil Doves
geschickt worden? Oder von den
G-Point -Gangstern
?«
Heide schüttelte den Kopf. »Von keinem von beiden.«
»Wissen Sie denn, ob diese Unterlagen etwas mit den Rockerclubs zu tun haben? Oder vielleicht mit dem
Hot Lady
?«
Man merkte der sonst so coolen Anwältin an, dass ihr nicht wohl bei dem Gedanken war.
»Ich habe keine Ahnung«, sagte Heide wahrheitsgemäß.
»Tatsächlich?«
»Das Einzige, was ich weiß, ist, dass es irgendetwas mit Ihrem Vater zu tun hat.«
Dann machte Heide auf dem Absatz kehrt und verließ, so schnell es ihr möglich war, das Café.
|148| Die Dreizehn
steht als Zahl für Störung und
Weitere Kostenlose Bücher