Taubenkrieg
ihre Kutten getrauert haben, die bei dem Brand zerstört wurden. Das wirkte völlig echt!«
»Es kann ja durchaus sein, dass nur ganz wenige Bescheid wissen. Kalle zumindest scheint keine Hinweise darauf zu haben, dass die
DDs
selbst die Feuerteufel waren. Ich glaube, es war jemand anderes.«
»So richtig passt das alles nicht, Frau Profilerin!« Da hatte Christine leider recht.
»Wencke?«, kam es plötzlich aus ihrem Ohr. »Wencke, alles klar bei dir?«
Sie blieb vor Schreck stehen und brauchte ein paar Sekunden, bis sie begriff, dass sie Boris’ Stimme hörte, die sie per Funk erreichte.
»Bist du irgendwie – multipel veranlagt?«
O Mann, sie hatte dieses blöde Mikro total vergessen. Wilkens und Fuchs mussten die ganze Zeit Zeugen ihres Selbstgespräches gewesen sein, wie peinlich. »Alles in Ordnung. Ich habe nur laut gedacht …«
Man hörte verhaltenes Lachen. »Deine Theorien hören sich auch alle ganz toll an. Nur leider haben sich soeben die Vorzeichen total verändert.«
»Wie bitte?«
»Laut GPS stehst du vor dem Hotel. Komm hoch, dann bist du schlauer – oder noch unwissender als vorher.«
Wencke zupfte sich hastig die Klamotten zurecht, um im schicken Foyer nicht völlig aus der Rolle zu fallen. Sie hoffte, in dem Pulk anreisender Gäste unbemerkt zu bleiben, und schlüpfte zwischen einer Traube roter Luftballons hindurch, die den Eingangsbereich schmückten. Trotzdem registrierte sie das etwas irritierte Gesicht der Rezeptionistin, deren Blick sie bis zum Aufzug verfolgte. Klar, sie sah nun mal aus, als hätte sie die Nacht in einer Gartenlaube verbracht.
|141| »Wencke, gut, dass du da bist!«, begrüßte Boris sie, kaum hatte er die Zimmertür geöffnet.
»Du kannst mir gleich die Neuigkeiten erzählen, erst mal brauche ich nämlich dringend eine Dusche, und da dachte ich …«
»Die Dusche muss warten«, sagte eine Stimme, und Wencke blieb wie angewurzelt stehen, denn es war nicht Boris, der den Satz von sich gegeben hatte. Die Suite war etwas um die Ecke gebaut, deswegen musste Wencke sich einen Ruck geben und ein paar Schritte machen, bevor sie ihren Verdacht bestätigt fand: Boris hatte Damenbesuch. Niemand anders als die bescheuerte Kosian saß auf einem der Sessel. Die Sorgenfalte auf ihrer Stirn war auch aus fünf Metern Entfernung bestens zu erkennen.
»Was ist passiert?«
»Wir müssen umdisponieren«, murmelte Boris und zeigte auf ein Flipchart, das bereits von oben bis unten mit Notizen und Skizzen beschrieben war. Einen Sinn ergab das Gekritzel nicht, zumindest nicht auf den ersten Blick. »Ich bin auch gerade erst wieder von der Familie Kellerbach zurück. Und dann hat mich diese Neuigkeit überrascht.« Er zeigte mit dem Finger auf den Mittelpunkt der Hieroglyphen. Was stand da in der mehrfach eingekreisten und unterstrichenen Blase?
»Nur eine DNA? Was hat das zu bedeuten?«
Jetzt stand die Kosian auf. »Im Bootsschuppen fand sich an allen Gegenständen, die mit dem Mord in einen Zusammenhang gebracht werden konnten, nur eine eindeutig isolierbare DNA. Und zwar die von Kellerbach.«
»Das kann nicht sein.« Wencke war perplex. »Das würde bedeuten, Leo Kellerbach hätte ganz allein das Chaos angerichtet, die Zigaretten geraucht, sich umgebracht, und danach wäre er noch mit dem Boot über den See abgehauen. Wie lächerlich ist das denn?«
|142| »Die Laborwerte sind harte Fakten, Frau Tydmers, die können wir leider nicht wegdiskutieren.«
»Und was heißt das für uns?«
»Das heißt, wir können Ihre Theorie von der Beziehungstat vergessen.«
»Warum denn das? Und wieso ›meine‹ Theorie? Jetzt stimmt ein einziges Detail nicht, und dann ist es auf einmal ganz und gar meine Angelegenheit, oder was?« Wencke atmete tief durch. »Soweit ich mich erinnere, waren wir alle gemeinsam der Ansicht, dass eben nicht eine Horde Männer für den Mord verantwortlich ist. Und das ist ja durch das Laborergebnis absolut bestätigt worden.« Zugegeben, das war das einzig winzig bisschen Positive, was aus der Situation gewonnen werden konnte. Der Rest schien fatal: Das Gutachten mit der fein säuberlich analysierten Schlussfolgerung, dass zwei Männer im Bootsschuppen miteinander geraucht hatten, war wertlos geworden. In Hannover sägten sie jetzt wahrscheinlich schon heimlich, still und leise an Kosians Stuhl.
Und tatsächlich, Wenckes Vorgesetzte lächelte – wenn überhaupt – nur hauchdünn. »Unsere Leute sehen die Sache anders. Die Schlägerei gestern, bei
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