Taubenkrieg
Unvollkommenheit
Als Wencke am Nachmittag zum Grundstück zurückkehrte, werkelten wieder an allen Ecken und Enden die Rocker. Es war Freitag, das Wochenende hatte begonnen, genug Zeit, hier alles auf Vordermann zu bringen. Noch schienen alle sehr motiviert zu sein. Die Satellitenschüssel thronte bereits auf dem Dach, ein Stück darunter quälten sich zwei Jungs mit einer neuen Dachrinne ab. Laute Metallklänge schallten aus aufgestellten Musikboxen über das gesamte Areal, die Hämmer wurden passend im zügigen Takt geklopft, Bohrmaschinensolos dröhnten dazu.
Wencke ging grußlos an all dem vorbei.
»Was hat dir denn die Laune verdorben?«, rief Kalle ihr hinterher, ganz alter Bekannter. Er befestigte gerade irgendeine Holzlatte an irgendeinen Pfosten.
»Probleme auf Malle. Ich muss morgen mit dem ersten Flieger wieder zurück. Es gab einen Einbruch in die Bar.« Auf diese kleine Lügengeschichte hatten sie sich geeinigt, um Christine Freys plötzlichen Aufbruch plausibel zu erklären.
Kalle schien tatsächlich perplex zu sein, offenbar war er über die neuesten Entwicklungen noch nicht informiert worden. Es war nicht Wenckes Aufgabe, das nachzuholen, deswegen zuckte sie nur kurz die Achseln und schloss die Tür ihres Gartenhäuschens hinter sich.
|149| »Verdammt«, konnte sie fluchen, als sie nun endlich für sich war. Am liebsten hätte sie auch das Mikrofon gleich im Hotel gelassen, so wütend war sie gewesen. Doch dann hatten Wilkens und Fuchs sie überzeugt, zur Sicherheit den Funkkontakt wenigstens so lange aufrechtzuerhalten, wie sie sich auf dem Grundstück der
Devil Doves
bewegte. Das bedeutete nur leider auch, dass sie besser auf hässliche Adjektive vor den Namen ihrer Vorgesetzten verzichten sollte, da der Feind womöglich mithörte. Doch genau darauf hätte sie riesige Lust gehabt. Bescheuerte, dämliche, hirnamputierte, feige Kosian …
Dass am Tatort nur eine DNA gefunden worden war, hatte wirklich alles über den Haufen geworfen. Doch so sehr Wencke es auch drehte und wendete, für sie blieb die Geschichte, wie sie war: eine Sache zwischen zwei Männern, von denen einer nicht überlebt hatte. Frustriert begann sie, die am Morgen erst ausgeräumten Klamotten wieder in den Koffer zu packen. Klar freute sie sich auf Emil, und dass ihr Urlaub nun doch halbwegs pünktlich stattfinden konnte. Aber das negative Gefühl, einen Haufen Fragen unbeantwortet zu lassen, nur weil sich ein paar Details geändert hatten, überwog.
Was hatte sie denn schon in Erfahrung gebracht? Was wusste sie eigentlich über das Opfer, diesen Leo? Boris hatte von seinem Besuch im Hause Kellerbach erzählt, und es juckte Wencke dermaßen in den Fingern, an dieser Stelle tiefer zu bohren. Diese giftige Nikola hatte doch sicher etwas zu verbergen, oder nicht? Boris vermutete, dass sie mit
Patch Blacky
zusammen war, angeblich hatte er einen Kuss zwischen den beiden beobachtet. Vorstellen konnte Wencke sich das nicht so richtig, sie mussten ein seltsames Paar abgeben, die schicke Anwältin und der lässige Rocker. Doch statt all diesen spannenden Geschichten nachzugehen, stopfte sie jetzt ihre Jeans in den Koffer, so ein Mist.
Es klopfte, erst zaghaft, dann resoluter. Wencke war überrascht, |150| sie hatte Kalle mit ein paar neugierigen Sätzen erwartet, stattdessen stand jedoch ausgerechnet
Patch
in der Tür wie ein Konfirmand, der seinen Schwarm zur Tanzstunde abholen will. »Ich hab gehört, du machst dich morgen schon wieder vom Acker?«
»Leider ja. Aber hier ist auch so weit alles geklärt, die Banken waren für ihre Verhältnisse recht kulant.«
»Freut mich für dich.« Er schob sich eine seiner lockigen Strähnen hinter die Ohren, ein bisschen wirkte die Geste wie vor dem Spiegel eingeübt. »Andererseits ist es auch schade, dass du schon verschwindest, Christine. Ich hätte gern ein bisschen mehr Zeit mit dir verbracht.«
Was sollte das denn jetzt werden!? Klar, sie hatten sich gestern beim Zapfanlageneinweihungsfest echt gut verstanden und richtig Spaß miteinander gehabt, aber das hier war ein eindeutiger Flirtversuch – so weit waren sie selbst weit nach Mitternacht noch nicht gewesen. Außerdem: Was war denn mit dieser Nikola? Laut Boris war
Patch
doch bereits in den festen Händen dieser schönen Frau. Wencke fiel beim besten Willen keine angemessene Reaktion ein. Zum Glück schien
Patch
dies als Verlegenheit zu deuten und kam einen Schritt weiter in die Hütte. »Dann muss ich mein Versprechen eben
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