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Taubenkrieg

Taubenkrieg

Titel: Taubenkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Lüpkes
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konnte Boris nicht feststellen, dass sich die Innenarchitekten in irgendeiner Weise Mühe gegeben hätten, dem
Hot Lady
eine besondere Note zu verleihen. Viele Spiegel, eine Menge Diskokugeln, Nebelmaschinen und bunte Spots. In der Mitte standen drei Tische mit Stangen, an denen gerade anscheinend das Motto Dschungel geturnt und getanzt wurde, denn die Mädchen hatten zwar unterschiedliche Haar- und Hautfarben, trugen aber alle die gleichen wildkatzengemusterten Dessous – zumindest während der erste Hälfte ihrer Showeinlage. Während sie sich entkleideten, kämpften sie gegen lange, grüne Gummischlangen, ließen die Attrappentierchen über ihre operierten Brüste und zwischen die Beine kriechen.
    Boris bestellte ein Bier am Tresen. Er wusste, woanders hätte er für diesen Preis eine ganze Lokalrunde spendieren können, aber er war nicht hier, um sein Kleingeld zu horten. Er |169| wollte sich umhören, auf eigene Faust, weder Wencke noch Tilda Kosian wussten davon.
    Die Idee zu diesem Alleingang war ihm kurz nach dem Gespräch heute Vormittag im Hotel gekommen, bei dem er seinen beiden Kolleginnen beim Diskutieren zugehört hatte. Wencke Tydmers hatte sich keine sechzig Minuten um den spontan entschiedenen Rückzug geschert, sondern war allem Anschein nach ohne Funkgerät unterwegs. Er ging jede Wette ein, dass sie bei ihrem Motorradausflug die letzte Gelegenheit nutzte und gerade dabei war, ihre Theorie auf Teufel komm raus zu verteidigen. Nicht nur trotz Kosians gegenteiligem Befehl, sondern wohl eher gerade deswegen.
    Und er wollte sie nur zu gern dabei unterstützen. Genau wie Wencke hatte Boris dieses Bauchgefühl, dass man hier nicht einfach so abbrechen durfte, weil noch viel zu viele Fragen ungeklärt waren. Nein, er war wirklich kein Held, aber dieser Fall war ihm aus bestimmten Gründen besonders wichtig. Würde er die Sache mit den Rockern zu Ende bringen, würde vielleicht auch seine eigene Geschichte endlich zum Abschluss kommen. Und das war ihm einiges wert.
    Nur sollte er sich auf keinen Fall erwischen lassen bei diesem Manöver. Also entschied er sich, dem
Hot Lady
einen Besuch abzustatten. Erstens, weil dieser Nachtclub der ursprüngliche Zankapfel zwischen den Rockerbanden gewesen war. Vielleicht gab es hier interessante Erkenntnisse, wer wem was weggenommen hatte, für das es sich zu morden lohnte. Zweitens entschied er sich für den Provinzpuff, weil er hier relativ problemlos erwischt werden könnte, von wem auch immer, ohne dass es wirklich brenzlig wurde. Und die Wahrscheinlichkeit, dass er hier auf einen der Rocker treffen würde, die ihn von der Pressekonferenz kannten, schreckte ihn auch nicht besonders. Er könnte sich peinlich berührt herausreden, dass er ein wenig Entspannung gesucht hätte. Da würde |170| keiner weiter nachhaken, bei so etwas blieb man diskret. Und um sein sexuelles Desinteresse am weiblichen Geschlecht wusste in Schwerin kein Mensch. Vielleicht ahnten Jolters, Wachtel und die anderen Kollegen etwas, das war es aber auch schon.
    Das Bier schmeckte gar nicht mal so schlecht für ein Lokal wie dieses. Die Dschungelnummer war zu Ende, niemand klatschte, es war noch zu früh am Abend für ausgelassene Stimmung. Am Tisch in der Ecke unter den Musikboxen ließ sich ein junger Typ gleich von zwei dunkelhäutigen Schönheiten anmachen, sah aber trotzdem gelangweilt aus. Eine Blondine im Krankenschwesterkostüm absolvierte einen routinierten Solostrip, aus ihrer überdimensionalen Einwegspritze tropfte etwas Milchiges, das wohl sehr lecker schmecken musste. Boris war immer wieder verblüfft, wie mit solchen Etablissements so viel Kohle gescheffelt wurde, dass dafür ein tödlicher Krieg entbrennen konnte.
    »Ein neues Gesicht«, sagte eine Schlanke mit glatten Haaren bis zur Hüfte. Boris schätzte sie auf Anfang zwanzig und slawischer Abstammung, zumindest hatte sie hohe Wangenknochen, volle Lippen und nannte sich Alenka. »Wie geht es dir denn so?«
    Alenka war zum Glück wenig aufdringlich, ließ sich lediglich ein Glas Champagner spendieren und blieb ansonsten anständig auf ihrem roten Hocker sitzen. Wahrscheinlich hatte sie heute keine Lust zum Arbeiten, dachte Boris, und dann überlegte er eine Weile, ob Prostituierte überhaupt irgendwann mal Lust dazu hatten, womöglich morgens aufstanden und dachten: Heute habe ich richtig Bock auf meinen Job   … Wohl kaum. Aber Alenka gab sich nicht einmal Mühe, so zu tun, als ob.
    »Hat’s dir verschlagen die Sprache, oder

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