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Taubenkrieg

Taubenkrieg

Titel: Taubenkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Lüpkes
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Eigenheimbesitzer, die nicht in die Sommerferien entschwunden waren, konnten sich dort über sonnige Samstagabende in riesigen Gärten freuen. Wencke dachte nicht daran, bei Paul Haigermann direkt zu klingeln, sie war ja nicht lebensmüde. Doch der dunkel und monoton brummende Rasenmäher vom grünen Grundstück hinter dem Haus brachte sie auf die Idee, sich wie eine Diebin über die Nachbargärten anzuschleichen. Offensichtlich waren die Bewohner dieses Anwesens verreist, die Stühle und Bänke mit Plastikfolie geschützt und sämtliche Außenrollos bis auf schmale Spalte herabgelassen. Mannshohe Sonnenblumen standen am Gartenzaun und hatten ihre kreisrunden Köpfe fast neugierig in Wenckes Richtung gedreht.
    Sie hatte mit ihrer Vermutung goldrichtig gelegen: Im Garten der Haigermanns wurde ordnungsgemäß zum Wochenende der Rasen gemäht. Der riesige rote Scherenapparat wurde von einem noch riesigeren Mann gemächlich und in geraden Bahnen geschoben. Vom Format her konnte das tatsächlich der gestrige Angreifer sein. Der Zweimetermann schwitzte in der Sonne, sein türkisfarbenes T-Shirt klebte ihm am beachtlichen Bauch. Vier große Buchstaben prangten darauf: ASMV, das war doch diese Bürgerwehr-Aktion, für die der alte Kellerbach |204| sich eben in der Pressekonferenz engagiert hatte. Haigermann gehörte also auch zu diesem Club. Ihn konnte man sich auch viel besser mit Knarre am Halfter durch Vorstadtsiedlungen patrouillierend vorstellen als den vertrockneten Advokaten.
    Wencke schob sich um die verblühten Hortensien und gelangte auf diese Weise sehr nah an das Objekt ihres Interesses heran. Er trug eine dunkle Sonnenbrille, ob die Augen also in den letzten vierundzwanzig Stunden eine Ladung Pfefferspray abbekommen hatten, war nicht zu erkennen. Doch als der Hüne die Richtung wechselte, ließ sich dank der unvorteilhaften Bermudashorts an seiner linken Wade unverkennbar ein Fleck ausmachen, der durchaus die Hinterlassenschaft eines Elektroschockers sein könnte.
    Nicht zu fassen, Wencke schien auf der richtigen Fährte zu sein. Dieser Paul Haigermann mochte noch so pazifistisch um seine Blumenbeete kurven, sie wusste, er hatte gestern gemeinsam mit
Patch
eine kleine, sehr schmierige Kriminalkomödie aufgeführt. Und dabei einen Menschen schwer verletzt und einen anderen in Todesangst versetzt. Jetzt mähte er hier seinen Rasen.
    Wie kriegte man das alles zusammen? Haigermann hatte eindeutig keine Rocker-Ambitionen, er sah eher aus wie ein Mann, der Wert auf eine funktionierende Sitzheizung seines Familienkombis legte – und auf den Stern am Kühlergrill. Wo war der Verbindungsknoten zwischen ihm und den
Devil Doves
?
    Wencke ließ sich ins Gras sinken. Paul Haigermann trank beim Rasenmähen ein großes Glas Weizenbier. Und obwohl Wencke nichts auf Gebräu mit Kohlensäure gab, jetzt hätte sie für einen Schluck einiges geboten. Sie war kurz vorm Verdursten. In all dem Durcheinander hatte sie es nicht geschafft, sich heute um die elementaren Dinge wie Essen und Trinken zu |205| kümmern. Hals und Zunge waren rau, als hätte sie eben einen der Sandkuchen gegessen, die auf dem Rand der verwaisten Spielecke platziert waren.
    »Schatz, du hast Besuch«, rief eine glockenliebliche Stimme aus dem Innern des Hauses. Wencke sah eine Bilderbuchehefrau – sie könnte glatt die Schwester von Kerstin sein – durch die Terrassentür treten.
    »Paul«, rief sie noch lauter, um gegen den beeindruckenden Rasenmäherlärm anzukommen, »Herr Gauly ist hier und möchte dich dringend sprechen.«
    Gauly?, dachte Wencke. Was suchte der Oberstaatsanwalt am Wochenende in der Privatsphäre einer Spießerfamilie? Wahrscheinlich waren die Kollegen der Schweriner Kripo ja auch nicht auf den Kopf gefallen und klapperten selbst die Telefonliste eines Tatverdächtigen ab. Doch normalerweise kam dann nicht gleich der oberste Chef persönlich vorbei.
    Paul Haigermann schien der unangemeldete Gast in keiner Weise zu überraschen, er fragte nicht nach, sondern bearbeitete eben noch das letzte Quadratmeterchen neben dem Rosenspalier. Dann wischte er erst den Stirnschweiß mit dem T-Shirt , anschließend seine Hände an den karierten kurzen Hosenbeinen ab und stellte dann den Rasenmäher aus. Die augenblickliche Ruhe ließ Wencke nervös werden. Man hörte die Straßenbahn in der Nähe vorbeirattern und das Geplapper der Frau Haigermann, die es anscheinend aufregend fand, einen Schweriner Promi in ihrem Haus begrüßen zu dürfen. »Möchten

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