Taubenkrieg
ernst genommen wurde. Zumindest ließ sich der Übergriff auf den Papagei so erklären. Aber würden sie so weit gehen, aus dieser Motivation heraus auch einen Mord zu begehen? Wohl kaum! Wahrscheinlich nutzten sie einfach die Aufregung um den Fall im Bootsschuppen für ihre Zwecke.
»Gibt es denn inzwischen einen Ermittlungserfolg?«, wollte Frau Haigermann wissen.
Gauly schüttelte den Kopf. »Solche kriminellen Elemente sind leider schwer zu kriegen. Sie suchen sich ihre Opfer wahllos aus, es hätte im Grunde jeden treffen können, dadurch ist es nicht einfach, die Spur zu ihnen zurückzuverfolgen.«
Die Frau des Hauses machte ein ernstes Gesicht.
»Liebling, vielleicht machst du uns beiden doch einen Latte Macchiato, das wäre wirklich nett«, entschied Haigermann, und Wencke entging nicht der verschwörerische Blick, mit dem er seinen Besucher bedachte. Prompt erhob sich die fleißige Gattin und entschwand ins Innere das Hauses. Haigermann beugte sich nach vorn: »So sind wir sie noch eine Weile los. Unsere komplizierte Kaffeemaschine wird meine Frau sicher fünf Minuten absorbieren. Sprechen Sie.« Er räusperte sich. »Was ist mit Tamara? Ich habe gehört, ein anderer LK A-Mann war bei ihr …«
»Das stimmt. Aber Ihr Mädchen hat dichtgehalten, Haigermann. Gut erzogen, die Kleine.«
|209| Jetzt! Ach so … Das war der Punkt …
Vor Aufregung wäre Wencke fast nach hinten gefallen. Dieser Haigermann war der Zuhälter der kleinen Tamara, der Mann, dem das Mädchen die Treue hielt im Glauben an eine bessere Zukunft. Der Heizungsinstallateur war auch nach Feierabend darum besorgt, wie und wo Rohre verlegt wurden, haha. Und als Nikola Kellerbach anfing, sich für die schmutzigen Geschäfte im Rotlichtmilieu zu interessieren, haben er und sein Mitstreiter
Patch
ein abschreckendes Exempel statuiert. Und Gauly wusste davon …
»Hallo?«, hörte Wencke eine Stimme direkt hinter sich. »Hallo? Sie da …?«
Sie drehte sich um. Direkt hinter ihr stand ein kleiner, magerer Mann in Gummistiefeln und grüner Schürze, er war mit Heckenschere und Gießkanne bewaffnet. »Was machen Sie hier im Garten meiner Tochter, wenn ich fragen darf?«
Der Gärtner war nicht beängstigend, wirklich nicht, er machte sogar ein belustigtes Gesicht, weil er eine heimliche Lauscherin in ihrem lausigen Versteck entdeckt hatte. Zudem war er augenscheinlich schon mindestens siebzig.
Beängstigend war eher die Reaktion auf dem Nachbargrundstück: Gauly und Haigermann hatten sich von ihren Plätzen erhoben und starrten Wencke an. Und wenn einer von ihnen in der Lage gewesen wäre, mit Blicken zu töten, er hätte hundertprozentig in dieser Situation Gebrauch davon gemacht.
Wencke wusste, ihr blieben bestenfalls noch ein paar Sekunden, um ihre Haut zu retten, und ihre Chancen waren mies.
»Sie ist es, eindeutig!«, entfuhr es Haigermann nach dem ersten Schreck.
Gauly fragte: »Wer?«
Frau Haigermann kam mit Kaffee wieder und schrie: »Wer ist diese Frau?«
»Sie hat gestern …« Haigermann stoppte, schaute zu |210| Gauly hinüber. »Sie gehörte zu der Männerbande, die mich gestern überfallen hat.«
Der Oberstaatsanwalt verstand sofort, wer da auf der anderen Seite des Jägerzauns stand, und schien Wencke nun auch zu erkennen, obwohl sie bei ihrer ersten kurzen Begegnung noch rothaarig gewesen war. Der Gärtner hatte inzwischen nach einer Schaufel gegriffen, die er drohend erhob. Alle starrten sie an. Vier gegen eine, nein, ihre Chancen waren nicht mies, sie waren gleich Null. Das Einzige, wozu noch Zeit blieb, war ein kurzer Griff in die Tasche, eine flüchtige Tastenkombination auf dem Handy und die Hoffnung, dass Boris am anderen Ende ganz bald abnahm.
»Boris, es ist Gauly, hörst du? Gauly hat …«
»Sie ist gefährlich«, brüllte Haigermann. »Eine Verbrecherin! Machen Sie schon!«
Das hörte Wencke noch, dann spürte sie den Schlag auf den Schädel, und bevor dieser zu schmerzen begann, kam ihr die Bewusstlosigkeit zuvor. Ich will nicht in Ohnmacht fallen, dachte sie noch. Aber Ohnmachten haben es so an sich, dass sie sich einen Dreck um den Willen ihrer Opfer kümmern.
|211| Die Siebenundzwanzig
ist die Zahl der Begegnung zwischen Sonne und Mond
Das Loch, in das Heide gefallen war, war so dunkel und tief, sie würde nie wieder herausfinden. Was hatte sie nur getan? Wie eine Marionette war sie durch die letzten Tage gewandelt und hatte dabei nur Unglück hinterlassen. Blut und Schmerzen,
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