Taubenkrieg
reinkommen?«
|217| Die Dreiunddreißig
ist die Zahl der Menschen, die anderen zu Hilfe eilen und sie beschützen
Sie waren gerade auf dem Tretboot unterwegs, als das Handy klingelte.
Emil und Ricarda hatten sich nach dem Frühstück mit Schutzfaktor dreißig eincremen lassen, damit sie trotz der prallen Sonne in Badeklamotten spielen durften. Kerstin machte sich weiterhin Sorgen. »Wir sollten in den Schatten gehen«, schlug sie zum dritten Mal vor.
Axel hatte das Handy erst gar nicht mitnehmen wollen, schließlich war Sonntag, und er hatte sich ausdrücklich freigenommen. Zudem war es eigentlich auch unvernünftig, hier am und auf dem Großen Meer – wie der familientaugliche Badesee vor den Toren Aurichs hieß – das Mobiltelefon herumzuschleppen. Wenn er es am Ufer ließ, könnte es gestohlen werden. Und hier, auf dem wackelnden giftgrünen Plastikboot, bestand die Gefahr, dass es über Bord ging. Aber dann hatte er sich doch entschieden, es in die Tasche mit den Badelaken zu stopfen. Es könnte ja etwas Wichtiges sein.
Und dieser Anruf, der kurz vor Mittag kam, war wichtig.
»Boris Bellhorn hier. Spreche ich mit Axel Sanders?«
»Ja!«, brachte Axel zustande, und seine Beine wurden augenblicklich so weich, dass er Emil bitten musste, das Treten vorerst zu übernehmen. Er wusste, Boris Bellhorn war Wenckes |218| Lieblingskollege und wahrscheinlich der Einzige beim LKA, der etwas von ihrer sehr engen Freundschaft wusste oder ahnte. Wenn er hier anrief, dann war etwas passiert.
»Was ist los?«, fragte Kerstin, die auf dem anderen Pedalplatz saß und mit ihren schlanken, braunen Beinen weiterhin das Schaufelrad antrieb. »Du hast Urlaub!«
»Moment!« Axel zog sich auf die hintere Badeplattform zurück, was jedoch keineswegs dazu führte, dass er nun ungestört telefonieren konnte. Ricarda schrie rum, weil sie mit dem Strampeln dran sei, und Emil spritzte ihr Wasser ins Gesicht, ein einziges Quietschen und Johlen herrschte um ihn herum. Bellhorn war kaum zu verstehen.
»Ich bin der Kollege von Wencke und …«
»Ich weiß, wer Sie sind. Legen Sie los!«
»Ähm, ich … Ich habe eine Frage …«
Wencke hatte mal erwähnt, dass dieser Boris ein schüchterner, sehr softer Typ war. Und jetzt machte dessen langsame Art Axel fast verrückt. Konnte er nicht einfach sagen, was Sache war?
»Wir haben seit gestern Nachmittag keine Nachricht von Wencke, und da wollte ich wissen, ob Sie eventuell schon bei Ihnen war, um Emil abzuholen.«
»Wie? Nein, sie ist nicht hier.«
»Hat sie sich in den letzten vierundzwanzig Stunden bei Ihnen oder Emil gemeldet?«
»Hat sie nicht. Der letzte Anruf war vorgestern, ganz kurz nur, so gegen acht, glaube ich. Aber warum sollte sie hierherkommen? Sie hat doch einen Einsatz.«
Die Antwort ließ wieder auf sich warten. Da stimmte etwas nicht, dachte Axel, da stimmte etwas ganz und gar nicht. Er machte Emil Zeichen, dass er umkehren und wieder ans Ufer steuern sollte. Dafür kassierte er einen wenig begeisterten Blick von Wenckes Sohn. Oje, Emil durfte auf keinen Fall mitbekommen, |219| dass seine Mutter verschwunden war. Wenn es denn überhaupt so war …
»Der Einsatz wurde bereits vorgestern aufgrund neuer Ermittlungsergebnisse gestoppt. Wencke hat sich nicht so richtig daran halten wollen, und es gab Ärger. Seit gestern Mittag ist sie …«
»Was ist sie?«
»… verschwunden«, kam es zögerlich aus dem Telefon, und dann recht hektisch hinterher: »Vielleicht ist sie aber auch schon los und hat sich einfach einen freien Tag gegönnt …?« Es war diesem Boris anzuhören, dass er das selbst nicht glaubte.
»Und Wenckes Handy?«
»Derzeit nicht erreichbar. Sie muss es abgeschaltet haben.« Am liebsten wäre Axel über Bord gesprungen und an Land geschwommen, um möglichst schnell in sein Auto zu steigen und dahin zu fahren, nach Schwerin, wo dieser Rockerkrieg tobte und Wencke allem Anschein nach zwischen die Fronten geraten war. Er kannte Wencke schon lange, als Kollegin, als Frau, als Freundin – Wencke war so gnadenlos forsch, dass sie sich immer wieder in Gefahr brachte. Er musste zu ihr! Aber er konnte nur elend lahm mit dem Tretboot vor sich hin tuckern, sie würden sicher mindestens eine Viertelstunde bis zum Steg brauchen. Kerstin und die Kinder einfach hier allein zurücklassen, war natürlich auch nicht möglich, sie waren auf ihn angewiesen, auf das Auto, das nur er lenken konnte. So ein Mist!
Bellhorn seufzte am anderen Ende
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