Taubenkrieg
schon nachgedacht und kam drauf, dass sie versuchen würde, diesen Typen zu finden, mit dem
Patch
kurz vor dem Überfall in der Kanzlei telefoniert hat.«
»Paul Haigermann?«, fand Sanders in den Akten.
»Richtig. Aber da habe ich schon nachgehakt. Die Schweriner Polizei sagte, ihnen läge bereits eine Aussage vor, laut Haigermann sei es bei dem Anruf lediglich um eine Toiletteninstallation im neuen Clubhaus gegangen.«
»Das ist doch Schwachsinn! Wencke hat gesagt, dass dieser
Patch
nach dem Telefonat wie ausgewechselt war und sofort nach Schwerin zurückwollte. Diese Hektik kann doch wohl kaum aufgrund eines dämlichen neuen Klos ausgebrochen sein.«
»Ja, das klang absolut unglaubwürdig, und ich bin heute Vormittag dorthin, aber die Haigermanns waren nicht anwesend, schienen verreist zu sein. Das war also eher ein Flop …«
»Und was könnte Wencke mit
Gauly hat …
gemeint haben?«
»Tja … An dieser Frage sitze ich nun schon seit Stunden.« Boris spielte die seltsame Meldung noch einmal ab. Er hatte die Datei bereits auf seinen Laptop überspielt und konnte mit dem Audioprogramm ein bisschen an Geschwindigkeit und Tonfärbung schrauben. Dadurch war es leichter, ein paar Details herauszuhören. Es wurde deutlich, dass Wencke nicht direkt in den Hörer gesprochen hatte, ihr Handy musste in |232| einer Tasche gesteckt haben. Vom ersten Satz, den sie in ihrer Not gerufen hatte, waren nur die letzten Worte übrig geblieben:
…Boris, hörst du?… Gauly hat …
Und dann ertönte dieses Männerbrüllen.
»Inzwischen glaube ich sogar, etwas verstehen zu können.« »Was sagt er?«
»
Sie ist gefährlich
…«
»Erkennen Sie die Stimme?«, fragte Sanders.
»Bei diesem Geschrei ist das schwer zu sagen. Es könnte durchaus Gauly sein, ich bin ihm aber erst einmal persönlich begegnet, und da hat er in normalem Tonfall gesprochen. Bei der Nachfrage wegen dieser Aufnahme hat er sich durch seine Sekretärin vertreten lassen.«
»Und die hat gesagt, er wisse nicht, was das zu bedeuten habe, stimmt’s?«
»Exakt das waren ihre Worte.«
Ein dumpfes Knallen war zu hören, dann das Schaben von Stoff auf dem Handymikro, das alle anderen Geräusche eliminierte. Ein unverständliches Chaos aus verschobenen Tönen, da konnte man auf Vor- und Rücklauf klicken, soviel man wollte.
Sanders seufzte und schob die Akten ein Stück weit von sich. »Sie denken also wirklich, dass der Oberstaatsanwalt diesen Fall manipuliert und eventuell auch Leute der Polizei in einer Art Verschwörung involviert sind?«
»Ich werde das Gefühl nicht los, dass die Bösewichte nicht alle Lederkutte, sondern durchaus auch Schlips und Kragen – wenn nicht sogar Anwaltsrobe – tragen könnten. Gauly hat definitiv versucht, die ermittelnde Staatsanwältin zu beeinflussen. Und ich könnte mir vorstellen, dass er Ähnliches mit dem einen oder anderen Polizisten versucht. Der Kriminalbeamte Wachtel jedenfalls hat sich von Anfang an so vehement für die Rockerkrieg-Theorie eingesetzt, dass man schon glauben |233| könnte, er sei da auf welche Weise auch immer geimpft worden.«
»Warum sollte Gauly das tun?«
»Da kann ich nur Vermutungen äußern. Er engagiert sich in seiner Freizeit für diese Bürgerwehr und hatte zu DD R-Zeiten engen Kontakt mit Mielke und Konsorten. Jedoch kann er kein ausgewiesener Stasi-Mann gewesen sein, sonst hätte er heute wohl kaum einen solchen Posten im Staatsdienst inne.« Boris ging in Gedanken noch einmal alle möglichen und unmöglichen Theorien durch, die ihm seit heute Morgen das Hirn heißlaufen ließen. »Am wahrscheinlichsten scheint mir, dass Roland Gauly alle Hebel in Bewegung setzt, weil er etwas vertuschen will.«
»Und? Haben Sie im Internet schon irgendeinen Hinweis, der Ihren Verdacht bestätigt?«
Boris schüttelte den Kopf. Er ergänzte seine Suchanfrage jetzt durch Begriffe wie
Kellerbach, Devil Doves
,
Schwerin
und sogar
Hot Lady
, was ihn aber leider auch kein Stück weiter brachte. Vielleicht lag er doch falsch, und Gauly hatte eine weiße Weste. Oder – und das war wahrscheinlicher – er war sorgfältig genug, damit die dunklen Flecken nirgendwo sichtbar wurden, auch nicht im Netz.
Sanders wandte sich wieder den Aktenbergen zu. Seinen Einsatz hatte er sich bestimmt anders vorgestellt, aktiver, abenteuerlicher und vor allem erfolgreicher. Irgendwo saß Wencke fest, war vielleicht in Gefahr, wer weiß, was ihr gerade widerfuhr – und sie beide tappten hilflos durch einen
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