Tausche Brautschuh gegen Flossen
Brauen ist ständig
nach oben gezogen. Dein Gesicht ist ein wenig rund, dein Mund lächelt spöttisch
und bestimmt hast du ein Grübchen.‹
Lachend lehne ich mich zurück und
schaukele im Stuhl. Ich bin nicht überrascht, sondern total von den Socken. Ganz
gewiss geistert kein Foto von mir durch das World Wide Web. Christoph kennt meinen
Nachnamen nicht – und selbst wenn, würde er ihn googlen, dann fände er etliche Lena
Scholls, aber nicht mich!
›Deine Haut ist hell. Deine Hände
sind schmal, mit langen Fingern, wie bei einer Klavierspielerin. Du bist groß und
obwohl du keinen Sport magst, ist dein Hüftspeck minimal.‹
In einem Anflug von Panik wechsele
ich zu Google und gebe meinen Namen in Anführungszeichen ein, damit das System nach
exakt den eingegebenen Begriffen sucht. Bis zur letzten Seite klicke ich mich durch
und finde mich nicht. Zum Glück!
Zurück im Chat lese ich: ›Na, so
still?‹
Zuerst will ich antworten, doch
überlege es mir anders und durchsuche meine Festplatte stattdessen nach einem bestimmten
Bild. Hannah hat es aufgenommen, als sie, Nina, Lilly und ich aus dem Kino kamen.
Es war im Frühjahr, die Luft war kühl und frisch vom letzten Regen. Ein Windstoß
fuhr durch die schmale Straße, wuschelte meine Haare durcheinander, und ich zog
fröstelnd das Revers der Jacke vor dem Hals zusammen. Der Schnappschuss ist perfekt,
denn er zeigt sowohl mein schiefes Grinsen und das Grübchen als auch die gezückte
Braue, die ich wegen des Fotografierens hochziehe.
›Bingo‹, lautet Christophs Kommentar.
Es ist Samstag. In wenigen Stunden kommt Lukas
nach Hause. Niemals hätte ich gedacht, dass ich seiner Heimkehr einmal mit gemischten
Gefühlen entgegensehe. Ich fühle mich wie die Wettervorhersage an der Ostsee: Vielleicht
wird es sonnig, vielleicht regnet es, mal abwarten und den Himmel beobachten.
Warum taucht so ein schlechtes Gewissen
nicht auf, bevor man Blödsinn macht? Ich meine nicht nur das dauernde unterschwellige
Unwohlsein, sondern das heftige Nagen und die Selbstvorwürfe. Warum ist der Wunsch,
mit Christoph zu reden, stärker als die Gewissheit, danach von der eigenen Moral
zerfressen zu werden?
So tingele ich denn nicht heiter
und nicht wolkig zwischen Euphorie und Kummer durch die Wohnung, grübele über den
Sinn des Daseins auf dieser Welt sowie über persönliche Bestimmung und die vorhersehbaren
und unvorhersehbaren Dinge, die im Leben geschehen. All jene Dinge, für die es eine
Garantie gibt, und jene anderen, für die eigentlich niemand zu irgendeiner Zeit
bürgen sollte.
Auf diesem Weg komme ich zu meiner
ureigenen Definition von Liebe und wie sie sich von der allgemeinen Interpretation
nebst den damit verbundenen Regeln unterscheidet.
Bedauere ich es, geheiratet zu haben?
Nie und nimmer!
Will ich bei Lukas sein, in guten
wie in schlechten Tagen, will ich ihn lieben und ehren, bis dass der Tod uns scheidet?
Ja, unbedingt!
Doch warum soll er der Einzige sein,
den ich liebe? In meinem Leben gibt es mehrere Menschen, die ich liebe und die mir
so viel bedeuten, dass ich Höllenqualen leiden würde, wären sie kein Teil mehr davon.
Warum kommt niemand von ihnen auf die Idee, Anspruch auf ausschließliche Liebe zu
erheben? Warum wird Liebe mit der Schließung einer Ehe zu einer körperlichen Sache,
die es verbietet, gleichwertige Emotionen zu anderen Menschen zuzulassen, denn genau
genommen ist und bleibt sie für alle Zeiten einfach nur Liebe. Egal, welche Gesetze
oder Institutionen sie zu definieren versuchen. Und meine Liebe kann und will ich
niemandem verbieten oder verwehren, von dem ich meine, dass er ihrer würdig ist.
Liebe ist frei; sie tut, was sie
will, und sie handelt nach dem Herzen. Sie ist nicht unfehlbar und ganz gewiss nicht
zu kontrollieren. Manchmal irrt sie sich und manchmal findet sie zurück, doch bei
allem, was sie verursacht und in Bahnen lenkt, bleibt sie aufrichtig, denn sie kann
gar nicht lügen.
Hätte ich mir all das überlegen
sollen, bevor ich geheiratet habe?
Natürlich nicht! Denn es war die
richtige Entscheidung: Ich will mit Lukas mein Leben verbringen.
Die Wohnungstür öffnet sich. Herein kommt mein Göttergatte, bepackt
mit Ruck- und Seesack. Sein Lächeln ist so warm wie tausend Sonnenstrahlen, und
es scheint direkt in mein Herz, das vor Freude einen Herzschlag übergeht.
»Ich hab dich so vermisst«, brummele
ich in seine Jacke.
»Ich dich auch«, murmelt er in mein
Ohr und schließt mich in seine Arme. »Die
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