Tausche Brautschuh gegen Flossen
und besuchte meine Eltern.
Meine Mutter probierte gerade das
Make-up für die Hochzeit an mir aus, als es klingelte. Es war Nina, und ihr ernstes
Gesicht ließ mich Schlimmes befürchten. Sie berichtete von einer Landstraße und
der dünnen Schlammschicht, die Lukas’ Motorrad zum Sturz gebracht hatte. Schon bei
diesen Worten schossen Tränen in meine Augen. Meine erste Befürchtung war, dass
Lukas nicht überlebt hatte, und allein zwei Sekunden mit diesem Gedanken zerrissen
mich fast. Nina beruhigte mich schnell, indem sie mir versicherte, dass Lukas relativ
weich in einer Hecke gelandet und bei vollem Bewusstsein war. Während sie bei mir
saß, kümmerte sich Bastian um den Abtransport der demolierten Maschine.
Als ich im Krankenhaus ankam, schob
eine der Schwestern Lukas in einem Rollstuhl aus der Unfallstation. Das Oberteil
seiner Kombi hing lose herunter. Ein Arm war mit einer Schlaufe fixiert. Lediglich
sein Schlüsselbein war gebrochen und verursachte ihm Schmerzen, dennoch erschien
mir seine innere Verletzbarkeit in diesem Moment viel größer als jeder Knochenbruch.
Mit Mühe hielt ich mich davon ab, ihm um den Hals zu fallen, sondern kniete mich
vor ihn und nahm seine von Kratzern zerschrammte Hand, um einen Kuss darauf zu hauchen.
Seine Finger strichen über meine Wange, umschlossen mein Kinn. Er zwang mich, ihn
anzusehen. Für eine Sekunde lag Panik in seinem Blick, dann lächelte er und sagte
mir, dass unserer Hochzeit nichts im Wege stehen würde. Nicht einmal seine bandagierte
Schulter würde ihn davon abhalten
»Es tut mir leid«, murmelte er.
»Ich hätte auf dich hören sollen.«
Dies, obwohl ich meine Bedenken
nie geäußert hatte.
Einen Tag vor der Hochzeit wurde
er aus dem Krankenhaus entlassen.
Mein Rücken liegt an Lukas’ Brust, mein Kopf ruht an seiner Schulter.
Die wenigen Touristen am Stausee fahren weiter, als sich die Sonne senkt. Das Wasser
nimmt ein dunkleres Blau an und liegt völlig still, als fände es Ruhe, nun da die
Boote es verlassen haben. Die Staumauer, auf der wir sitzen, schimmert golden in
der heraufziehenden Dämmerung. Lukas schlingt seine Arme um mich, als er spürt,
dass ich fröstele.
»Mir ist etwas echt Dummes passiert«,
höre ich mich plötzlich sagen, und mit diesem Satz schwindet das üble Gefühl im
Magen, das heraufbeschworen wurde, als ich beschlossen habe, ihm von Christoph zu
erzählen.
»Das klingt nach Ärger«, vermutet
Lukas. Ich spüre, wie sich seine Brust gegen meinen Rücken hebt, als er seufzt.
»Dann schieß mal los!«
»Seit einigen Wochen maile ich mit
jemandem.« Okay. Raus ist es. Was nun? Details? Einblicke in meine Emotionen?
»Hm!«, grummelt Lukas. Er zieht
mich noch fester an sich und wartet. Als ich schweige, hakt er nach: »Bekomme ich
vielleicht noch ein paar mehr Informationen oder muss ich dir alles aus der Nase
ziehen?«
Details also. Nun denn.
Ich erzähle
ihm, wie alles begann, welche Entwicklung es nahm und wie verwirrend ich diese finde.
Am Ende gebe ich zu, dass ich einerseits wünschte, an jenem Abend nicht in den Chat
gegangen zu sein, und doch andererseits froh bin, es getan zu haben.
Als Lukas lacht, glaube ich, mich
zu verhören, und will mich zu ihm umdrehen, doch er hält mich weiter, streicht über
meine Arme und haucht einen Kuss in meinen Nacken. »Mein armer Kuschel!«, nuschelt
er an meine Haut. »Ich weiß nicht, ob es ein Trost ist, aber vermutlich passiert
so etwas beinahe jedem irgendwann und irgendwie. Wir sind nicht perfekt.«
Das ist so ziemlich das Letzte,
was ich erwartet habe. Ich habe eher damit gerechnet, dass er schockiert ist und
auf Distanz geht, um die Neuigkeit sacken zu lassen und sich bewusst zu werden,
was er davon halten soll. Mir war klar, dass er nicht aufspringen und ohne mich
nach Hause fahren würde, um seine Klamotten in den eben erst geleerten Seesack zu
stopfen.
Seine Reaktion macht mich sprachlos.
Noch sprachloser werde ich, als er mir erzählt, wie er selbst schon einmal jemanden
getroffen hat, der ihm jäh einsetzendes Bauchkribbeln und Herzrasen bescherte. Er
und die Unbekannte seien aneinander vorbeigegangen, erinnert er sich, hätten sich
angesehen und es hätte geklickt. Mehrmals wandten sie sich nach dem anderen um,
lächelten, blieben stehen, doch gingen schließlich weiter. Wochenlang, so gesteht
Lukas, musste er an sie denken, doch er begegnete ihr nicht wieder. Er kann sich
nicht vorstellen, was geschehen wäre, hätte er sie ein zweites Mal getroffen –
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