Tausche Brautschuh gegen Flossen
vergangenen fünf Tage erschienen mir länger
als die zwei Wochen davor!«
»Bist du müde?«
»Ein wenig«, antwortet er und lässt
einen zufriedenen Seufzer hören. »Ich lege mich ein paar Stunden hin, okay?« Er
gibt mir einen Kuss auf die Stirn und löst sich von mir, um Momo hochzuheben, der
ihm, über seine Rückkehr gleichermaßen beglückt, um die Beine streicht.
Der Kater und Lukas haben ein wunderliches,
sehr inniges Verhältnis. Seit er das Tier vor zwei Jahren mitgebracht hat, sind
die Rollen klar definiert. Ich fungiere als Dosenöffner. Lukas ist derjenige, der
bekuschelt und beschmust wird, mit dem man gelegentlich doch einmal auf der Couch
liegt und fernsieht und auf dessen Seite man im Bett schläft. Um Letzteres bin ich
nicht böse, denn die beiden haben ihre Bewegungen im Schlaf perfekt aufeinander
abgestimmt. Dreht sich Lukas, dann steht Momo auf, ohne wirklich wach zu werden,
und watschelt in die entgegengesetzte Richtung über ihn hinweg, um an ähnlich bequemer
Stelle wieder umzufallen und weiterzudösen.
Als Lukas aufwacht, ist es bereits Abend. Statt etwas zu kochen, beschließen
wir zum Chinesen um die Ecke zu gehen. Also füttere ich den Kater, der allein bei
meinem Gedanken an Futter in aufgeregtes Spektakel verfällt und mich glauben machen
möchte, er würde nur mich und sonst keinen verehren.
Das Restaurant ist wie immer gut
besucht. Wir bekommen einen Platz in einem der Nebenräume zugewiesen, abseits des
Büfetts und Goldfischteiches, über den eine Brücke führt. Fern des Familienrummels.
Drei Quadratmeter, ein Tisch, eine Kerze, eine Vase mit schwimmenden Blumen ganz
für uns allein.
Lukas erzählt von heiteren sowie
ärgerlichen Momenten der vergangenen Woche im deutschen Outback. Ich bin unaufmerksam.
Zwar höre ich jedes Wort, das er sagt, doch ich drifte ein bisschen weg, die Wange
in eine Hand gestützt, und betrachte ihn.
Wie ich ihn ansehe und mit jedem
Wort, das er sagt, mit jeder ach so bekannten Mimik wird mir immer bewusster, wie
gut und richtig es ist, ihn zu lieben. Wie konnte ich nur eine Millisekunde damit
vergeuden, mir auszumalen, wie es wäre, ihn zu verlassen und zu verlieren?
Am nächsten Tag, nach einem ausgedehnten Frühstück,
fahren wir zu einer Talsperre nahe Hasselfelde im Harz, die früher eines unserer
liebsten Motorradausflugsziele gewesen ist. Wie das Motorrad ist auch der Sportwagen,
mit dem er mich beinahe umgefahren hätte, passé. Er wurde gegen eine komfortable,
benzinsparende, gediegene Limousine eingetauscht, die uns jetzt schnell und leise
von A nach B bringt, und der die Schlaglöcher auf älteren DDR-Straßen nichts anhaben.
Unterwegs hören wir Lukas’ aktuellsten House-Mitschnitt, die Clubhits des letzten
Sommers, die ohne viele Worte von Strand und Wellen und nächtlichen Partys erzählen.
Heute zeigt
sich der Oktober von seiner schönsten herbstlichen Seite. Der blaue Himmel kontrastiert
das bunte Laub an den Bäumen auf eine Weise, die selbst den größten Herbsthasser
sein Urteil revidieren und gestehen lässt, dass diese Jahreszeit schön ist. Die
Luft ist frisch und die Wärme der Sonne eine Wohltat, sobald sie mit meiner Haut
in Berührung kommt.
Am Stausee angelangt, suchen wir
uns einen Platz auf der Mauer. Wir trinken Kaffee aus Pappbechern und rauchen ein
paar Zigaretten. Wir reden nicht viel und in den Minuten des Schweigens holen mich
Erinnerungen an unsere Motorradzeiten ein.
Ich selbst habe nie einen Führerschein
für Zweiräder gemacht. Durch und durch bin ich ein Autofahrer. Dennoch habe ich
es genossen, der Sozius hinter Lukas zu sein. Er ist ein risikofreier Fahrer, dessen
Fahrweise mich nie beunruhigt hat – entgegen anderer Soziusse, die hin und wieder
abstiegen und den Vordermann ohrfeigten. Lukas vermittelte mir stets das Gefühl,
dass ich eine kostbare Fracht bin.
Er hatte nur einen einzigen Unfall.
Dieser ereignete sich zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt: fünf Tage vor unserer
Hochzeit.
Lukas wollte eine kleine Runde drehen,
möglicherweise um der Verwirrung über die bevorstehende Trauung Herr zu werden.
Noch heute sehe ich ihn vor mir stehen, in der schwarzen Lederkombi; den Helm, der
ihm das Leben gerettet hat, über den Kopf gezogen. Damals hätte ich ihm gern einen
Kuss gegeben, wollte jedoch nicht, dass er den Helm extra absetzt. Außerdem lagen
mir die Worte »Fahr nicht!« auf der Zunge. Ich hatte ein miserables Gefühl wegen
seines spontanen Beschlusses, doch behielt es für mich
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