Tausche Glückskeks gegen Weihnachtswunder (German Edition)
lügen.
»Mama«, stieß ich über alle Maßen erleichtert hervor, »wenn ich jetzt nicht zur Schule renne, dann komme ich zu spät! Und wir haben Mathe beim Theilmann in der ersten Stunde. Du weißt doch, wie streng der ist.«
»Oh Gott, natürlich.« Meine Mutter zuckte zusammen.
»Ich muss los, Mama«, rief ich, ließ hastig den Computer herunterfahren und brachte die Ausdrucke in meinen Rucksack in Sicherheit. Ich sprang in die Klamotten von gestern, putzte meine Zähne und fuhr hastig mit der Bürste über meine Haare. Dann schnappte ich mir meinen Seesack und im Flur meine Winterjacke und rannte los.
Beim zweiten Gongschlag kam ich in die Schule, wo ich mich keuchend neben Sina auf meinen Platz sacken ließ. »Was ist passiert?«, fragte meine ABF . »Erzähl ich dir später«, wisperte ich zurück.
»Wie ich diesen Mistkerl von Paul hasse«, flüsterte mir Sina zu. »Heute hat er mich ständig angerempelt, als ich vor der Schule auf dich gewartet habe. Was soll ich da denn machen?«
Unser Mathelehrer betrat die Klasse. Wie immer mussten wir aufstehen und ihn neben unserem Tisch stehend begrüßen. Dann durften wir uns setzen. Ich beugte mich zu Sina herüber: »Lass mich mal machen«, sagte ich leise. »Den Idioten knöpfe ich mir in der großen Pause vor und …« Weiter kam ich nicht, schon knallte das grüne Klassenbuch zwischen Sina und mich auf den Tisch.
»Ja, das Vorknöpfen in der großen Pause würde ich wirklich ausgesprochen befürworten«, verkündete un ser Mathelehrer scheinheilig. »Es wäre angesichts deiner Noten wirklich nicht zu vertreten, dass du auch nur eine Minute von meinem Unterricht verpasst, nicht wahr, Grete?«
Meine Wangen brannten. Die Jungs lachten grölend, einige Mädchen kicherten schadenfroh. Ich drückte meine Fingernägel so fest in den Handballen, so, dass es schmerzte. Die Tränen brannten in meinen Augen, aber ich würde vor der Klasse keine Schwäche zeigen und losweinen. Auf gar keinen Fall! Es gab Wichtigeres: Nur weil ich zu spät gekommen war, hatte Paul Sina wieder geärgert. Wir waren wie Schwestern, dafür würde er bezahlen.
Und wenn die Glückskekse recht behielten, würden Sina und ich bald richtige Schwestern sein. Auf einmal wusste ich, was ich mehr als alles andere wollte: eine richtige Familie. Auch damit Mama nicht immer so schrecklich auf mich aufpasste. Damit unser Weihnachtswunder in Erfüllung gehen konnte, blieben uns noch 18 Tage. Ob das noch zu schaffen war? In der Pause musste ich Sina dringend von meiner Internetrecherche berichten. Wir mussten irgendwie unseren Eltern eine Auszeit vom stressigen Alltag verschaffen. Nur wie? Und die nächste Frage lautete: Was musste ich mit Paul machen, damit er Sina in Ruhe ließ? Dass er sie immer ärgerte, stank mir ganz gewaltig. Ich überlegte und lachte laut, denn plötzlich hatte ich eine Idee.
In meinem Seesack steckte etwas Ungewöhnliches, als ich am nächsten Morgen früher als sonst durch die verschneiten Straßen zur Schule ging. Es war noch stockfinster. Im Schein der Straßenlaternen warf ich Schatten. Sonst kam ich im Winter morgens immer schlecht aus dem Bett, aber heute war ich extra mit Mama um sechs Uhr aufgestanden. Alles, damit Paul seine Quittung bekam! Eine Rolle Paketklebeband und eine Packung Mozzarella steckten in meinen Seesack, jeder Schritt brachte mich meinem Ziel näher. Ich grinste.
Der Schulhof war noch menschenleer. Nun musste mir nur noch der Hausmeister glauben. Davon hing alles ab! Er saß nicht in der Hausmeisterloge, sondern kam eilenden Schrittes aus dem Sekretariat.
»Entschuldigung, Herr Meyer«, fing ich an, bevor er irgendwohin verschwinden konnte. »Ich habe gestern meinen einen Ohrring in unserer Klasse verloren. Dürfte ich bitte vor dem Unterricht danach suchen? Könnten Sie mir das Klassenzimmer der 6b aufschließen?«
Er schaute eilig auf seine Uhr und warf mir dann einen Blick zu, als ob er Nein sagen würde.
»Bitte«, sagte ich flehentlich. »Mein Vater hat ihn mir geschenkt…« Bei dem Gedanken an Dad in London vermisste ich ihn so, dass meine Stimme bebte. »Der Ohrring bedeutete mir so viel, weil ich meinen Vater nur so selten sehe, darum …« Ich musste nicht weitersprechen. Der Hausmeister griff nach seinem Schlüsselbund. »Also gut«, sagte er und marschierte mit mir zu meinem Klassenzimmer, »aber normalerweise gibt es so etwas nicht.«
Wenig später war ich da, wo ich sein wollte. Alleine in unserem Klassenzimmer. Ich kniete mich vor
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