Tausend strahlende Sonnen
am äußeren Rand frei gemacht worden; es stand unter einem schwarz lackierten Fenster. Daneben befand sich ein trockenes und an mehreren Stellen aufgesprungenes Waschbecken, über dem an einer Wäscheleine schmutzige Gummihandschuhe hingen. In der Mitte des Raumes sah Mariam einen Regaltisch aus Aluminium stehen; auf der oberen Ablage lag eine anthrazitfarbene Decke, das untere Fach war leer.
Eine der Frauen bemerkte, worauf Mariams Blick gerichtet war.
»Die Lebenden kommen nach oben«, sagte sie.
Unter einer dunkelblauen Burka verbarg sich die Ärztin, eine kleine nervöse Frau mit vogelartigen Bewegungen. Alles, was sie sagte, klang gehetzt und ungeduldig.
»Das erste Baby?«, fragte sie im Tonfall einer Feststellung.
»Das zweite«, antwortete Mariam.
Laila stieß einen Schrei aus und wälzte sich zur Seite. Ihre Finger schlossen sich um Mariams Hand.
»Gab’s Probleme bei der ersten Geburt?«
»Nein.«
»Sind Sie ihre Mutter?«
»Ja«, antwortete Mariam.
Die Ärztin lüftete das Unterteil der Burka und brachte ein trichterförmiges Instrument aus Metall zum Vorschein. Dann entblößte sie Lailas Unterleib, legte das weite Ende des Instruments auf ihren Bauch und führte das schmale Ende ans Ohr. Sie lauschte eine Weile, verrückte den Trichter an eine andere Stelle und lauschte wieder.
»Ich muss das Kind jetzt ertasten, hamshira .«
Sie zog sich einen der Gummihandschuhe an, die über dem Waschbecken hingen, drückte dann mit der einen Hand auf Lailas Bauch und fuhr ihr mit der anderen in die Scheide. Laila wimmerte. Als die Ärztin fertig war, gab sie den Handschuh einer Schwester, die ihn unter dem Wasserhahn abwusch und wieder auf die Leine hängte.
»Das Kind ist in Steißlage. Wir müssen einen Kaiserschnitt machen. Wissen Sie, was das ist? Wir setzen einen Schnitt an und holen das Kind heraus.«
»Ich verstehe nicht«, sagte Mariam.
Die Ärztin erklärte, dass das Kind sich nicht gedreht habe und von allein nicht kommen könne. »Wir dürfen keine Zeit mehr verlieren und müssen jetzt sofort in den OP.«
Laila verzog das Gesicht und nickte. Ihr Kopf fiel zur Seite.
»Noch etwas«, sagte die Ärztin und rückte näher an Mariam heran, um ihr etwas mitzuteilen, etwas Vertrauliches, wie es schien. Sie machte einen leicht verlegenen Eindruck.
»Was ist los?«, krächzte Laila. »Stimmt was nicht mit dem Baby?«
»Aber wie soll sie die Schmerzen aushalten?«, fragte Mariam.
Der Ärztin schien die Frage als Vorwurf zu verstehen, denn ihre Antwort klang wie eine Entschuldigung. »Glauben Sie etwa, mir ist das recht?«, sagte sie. »Was soll ich tun? Man gibt mir nun einmal nicht, was ich brauche. Und es fehlt hier an allem, sogar an einfachen Antibiotika. Die Gelder der WHO stecken sich die Taliban ein, oder es fließt an Stellen, wo es ausschließlich Männern zugute kommt.«
»Aber, Doktor sahib , gibt es da nichts, was Sie ihr geben könnten?«, fragte Mariam.
»Was ist los?«, stöhnte Laila.
»Sie könnten das Mittel aus eigener Tasche bezahlen, aber …«
»Schreiben Sie mir bitte den Namen auf«, sagte Mariam. »Schreiben Sie ihn auf, und ich besorge es.«
Unter der Burka schüttelte die Ärztin den Kopf. »Dazu bleibt keine Zeit mehr«, sagte sie. »Außerdem ist das Mittel in keiner der umliegenden Apotheken zu haben. Sie müssten durch die halbe Stadt fahren, und das bei dem Verkehr, von Apotheke zu Apotheke, wo Sie aber wahrscheinlich auch nichts bekommen werden. Es ist gleich halb neun, das heißt, Sie wären bis zur Sperrstunde nicht zurück. Und selbst wenn Sie das Mittel irgendwo auftreiben könnten, würden Sie es wahrscheinlich nicht bezahlen können. Oder es sind andere Kunden da, die, ebenso verzweifelt wie Sie, versuchen werden, Sie zu überbieten. Wie dem auch sei, die Zeit drängt. Das Kind muss sofort geholt werden.«
»Sagt mir endlich, was ist«, verlangte Laila. Sie hatte sich, auf einen Ellbogen gestützt, aufgerichtet.
Die Ärztin holte tief Luft und klärte Laila darüber auf, dass dem Krankenhaus keine Betäubungsmittel zur Verfügung stünden.
»Aber wenn wir uns jetzt nicht beeilen, werden Sie Ihr Kind verlieren.«
»Dann schneiden Sie mich auf«, sagte Laila. Sie ließ sich aufs Bett zurückfallen und zog die Knie an. »Schneiden Sie mich auf und geben Sie mir mein Baby.«
Zitternd lag Laila in dem armseligen OP-Saal auf einer rollbaren Trage, während sich die Ärztin über einer Wasserschüssel die Hände schrubbte. Eine Schwester rieb Lailas
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