Tausend und ein Tag - Orientalische Erzählungen
getötet!« Und sie erzählte ihm, in welch edelmütiger Weise Ghülnas sie aus dem Unglück gezogen hatte.
Der Wasserträger verfiel auf diese Erzählung hin in den lebhaftesten Kummer, eilte auf die Straße hinunter, im Glauben, dort seine liebe Ghülnas zu finden, aber sie war verschwunden; und er durchlief die ganze Stadt, ohne ihre Spur finden zu können.
Während dieser Zeit ließ der Jude einen Arzt kommen; der aber versicherte, nachdem er die Wunde der Wesirstochter untersucht hatte, daß sie nicht tödlich sei. Er täuschte sich darin auch nicht; und Ghülnas säumte nicht, mit ihrer Genesung auch alle ihre Reize wieder zu bekommen. Der Jude konnte sie nicht mit gleichgültigen Augen betrachten und erklärte ihr seine Neigung als ein Liebhaber, der Gehorsam forderte. Ghülnas zitterte vor der Gefahr, so ihr drohte. Da sie zu genau bewacht wurde, um fliehen zu können, beschloß sie, sich in das Meer zu stürzen, das die Mauern des Judenhauses bespülte. Den Verlust des Lebens achtete sie für nichts, wenn sie dadurch ihre Ehre retten konnte. Um diesen Plan auszuführen, mußte sie freilich ihren Liebhaber entfernen; sie gab vor, allem beizustimmen, so er zu seinem Wohlgefallen wünschte, doch verlangte sie, daß er vorher ins Bad ginge, um sich zu waschen.
Der Jude ging fort, Ghülnas öffnete das Fenster und sprang unerschrocken ins Meer. Drei Brüder, die in der Nähe fischten, sahen sie in den Fluten treiben. Da sie geschickte Schwimmer waren, faßten sie sie an ihren Kleidern, zogen sie in ihr Boot und steuerten nach einem Platze auf der andern Seite der Stadt.
Als sich die Wesirstochter durch ihre Bemühungen ins Leben zurückgerufen sah, fand sie sich einer noch viel schrecklicheren Gefahr ausgesetzt als der, der sie gerade entronnen war. Ihre unbeschreibliche Schönheit machte den lebhaftesten Eindruck auf die drei Brüder; ein heftiger Zwist entstand unter ihnen, denn jeder von ihnen wollte sie besitzen. Und sie waren nahe daran, handgemein zu werden, als der Zufall einen jungen Vornehmen bei ihnen vorüberführte, den sie als Schiedsrichter annahmen. »Das Los allein«, sprach der junge Mann zu ihnen, nachdem sie ihn über den Grund ihres Streites aufgeklärt hatten, »kann eure Meinungsverschiedenheit beendigen; ich will drei Pfeile nach drei entgegengesetzten Seiten versenden: wer von euch am schnellsten einen der Pfeile erreicht, soll allein die Schöne besitzen!« Der Vorschlag schien den Fischern so annehmbar, daß sie ihn ohne Schwanken genehmigten; der Vornehme spannte alsobald seinen Bogen und verschoß nacheinander drei Pfeile nach drei verschiedenen Richtungen. Als er sie dann weit entfernt sah, warf er Ghülnas in rasender Eile auf den Sattelbogen, und sein Pferd anspornend, entfernte er sich mit verhängten Zügeln von den Fischern und gewann sein Dorf.
Es war Ghülnas bestimmt, alle, die sie sahen, zu entzücken. Kaum hatte der Vornehme den Fuß vom Pferde gesetzt, als er ihr die Glut seiner Leidenschaft erklärte. Ghülnas sah ein, daß sie diesem neuen Angriffe nur durch List entgehen konnte, und hörte ohne Zorn das Geständnis seiner feurigen Liebe an; sie heuchelte sogar, ihn erhören zu wollen, und beschwor ihn einzig, sein Glück bis auf die Nacht zu verschieben. »Ich habe einen Einfall,« sprach die Wesirstochter zu ihm, »der, so seltsam er ist, doch deine und meine Ruhe herbeiführen kann. Kein Mensch ist mir hier seit meiner Anwesenheit begegnet: leihe mir eines deiner Gewänder, du gibst mich für deiner Verwandten einen aus, der aus fremden Landen zurückgekommen ist; sowie man mein Geschlecht nicht argwöhnen wird, hast du keinen Nebenbuhler mehr zu fürchten!« Der Vornehme war damit einverstanden und gab ihr ein Gewand. Als sie dieses angezogen hatte, sprach sie weiter: »Ich will dir zeigen, daß ich dem Geschlechte, unter dem ich vor deinen Augen erscheine, keine Schande mache und daß nur wenige Männer geschickter als ich ein Pferd zu zügeln verstehen.« Sprachs und schwang sich zu gleicher Zeit auf das des Vornehmen und ließ es mehrere Sprünge machen; während er nun ihr anmutiges Wesen bewunderte, entfernte sie sich unauffällig; und dem Pferde mit den Sporen in die Flanken stoßend, ließ sie es in vollem Galopp dahinjagen und verschwand wie ein Blitz aus den Augen des verblüfften Vornehmen. Die Furcht, verfolgt zu werden, ließ sie den ganzen übrigen Tag und die ganze Nacht hindurch reiten, ohne einem bestimmten Ziele zu folgen.
Die ersten
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