Tausend und ein Tag - Orientalische Erzählungen
nur eine Folge des Zwanges gewesen wäre, würde es ihm unvollkommen erschienen sein; und er wollte es einzig und allein der Liebe verdanken. Er beschloß daher, Ghülnas die Freiheit wiederzugeben und sich dann durch der Ehe Bande mit ihr zu vereinigen. Bevor er jedoch diesen Plan ausführte, wollte er prüfen, ob sie des Loses, das er ihr bestimmt hatte, würdig wäre. Er führte sie zu seiner Mutter, die in einem kleinen, eine Tagereise von Kaschmir entfernt liegenden Orte wohnte und sprach zu der im geheimen: »O liebe Mutter, ich habe ein Auge auf diese junge Sklavin, die ich deiner Obhut anvertraue, geworfen; wache über ihre Aufführung und prüfe, ob ihr Verstand ihrer Schönheit gleichkommt!« Darauf nahm er Abschied von der Mutter und Ghülnas, indem er versicherte, daß er sie in nicht allzu langer Zeit wiedersehen wolle.
Die schöne Sklavin gewann bald das Herz derer, die ihrem Herrn das Leben geschenkt hatte. Die aber war ganz eingenommen von ihrer Freundlichkeit und Zuvorkommenheit; und sie wurde ihr in kurzer Zeit so teuer, als wenn sie ihre eigene Tochter gewesen wäre. Unsere gute Frau, die in äußerster Armut lebte, hatte diese immerdar geduldig ertragen; seit sie aber mit Ghülnas zusammen war, litt sie darunter, daß diese ihr Ungemach teilen sollte, und wünschte sich Reichtümer, um ihr ein Los zu bereiten, das ihren Tugenden besser entspräche.
Die liebenswürdige Tochter ihrerseits, gerührt von dem traurigen Leben derer, die ihr soviel Gutes erwies, suchte sie zu unterstützen. Sie händigte ihr einen Diamanten ein, den sie bei sich verborgen hatte, als ihr grausamer Vater sie in den Koffer steckte, und ließ ihn von der Alten um zweitausend Golddinare verkaufen. Da der Edelstein von seltener Schönheit war, fand sie bald einen Käufer und kehrte hocherfreut zu der zurück, die sie ihre liebe Tochter nannte.
Ghülnas mietete nun für sich und ihre Begleiterin ein bequemeres und geräumigeres Haus, das sie mit angemessenerem Hausrate versehen ließ. Und sie begann sich schon ihres Unglücks zu trösten und sich in die gegenwärtige Lage hineinzufinden, als ein neues und beklagenswertes Mißgeschick über sie hereinbrach. Obwohl sie ein sehr zurückgezogenes Leben führte und nur sehr selten und immer verschleiert das Haus verließ, ging das Gerücht von ihrer Schönheit durch die ganze Stadt, in der sie weilte; ein junger Mann verliebte sich daher über die Maßen hitzig in sie und wagte es, ihr seine Zuneigung zu erklären. Seine Kühnheit hatte nicht den erwarteten Erfolg, seine Liebe wandelte sich in Haß, und er beschloß sich an der zu rächen, die seine Glut verschmähte. Er reiste nach Kaschmir, und als er dem jungen Wasserträger begegnete, sagte er zu ihm: »Wie beklage ich dich, der du dir soviel Mühe mit einer Undankbaren gibst; während du hier im Schweiße deines Angesichts deinem kümmerlichen Gewerbe nachgehst, wiegt sie sich in einer sträflichen Fülle, die sie sich durch ihre Durchstechereien mit Liebhabern verschafft!«
Der Wasserträger stürzt rasend fort, um sich zu rächen, ohne zu prüfen, ob der Bericht, den man ihm gegeben hat, irgendwie begründet ist. Die Schönheit des Hauses, das seine Mutter bewohnt, die Sauberkeit des Hausrats, alles überzeugt ihn, daß er verraten ist; er tritt ein, Ghülnas, die sich nichts vorzuwerfen hat, da sie nichts Unrechtes getan, will ihm entgegengehen, aber er läßt ihr keine Zeit dazu, stürzt auf sie los und stößt ihr einen Dolch in die Brust, den er unter seinem Gewande verborgen hat. Wie er sieht, daß sie nicht auf den ersten Stoß niedersinkt, will er ihr noch einen zweiten versetzen; die bestürzte Ghülnas aber entgeht ihm, indem sie sich aus dem Fenster stürzt.
Ein Jude, der durch die Straße ging, sah das junge in Blut gebadete Mädchen, hob es auf und führte es in sein Haus. Indessen war die Mutter des Wasserträgers, die in dem Hause einer Nachbarin war, auf den Schrei hin, den Ghülnas ausgestoßen hatte, herbeigeeilt und sah ihren Sohn zornblitzenden Auges mit einem bluttriefenden Dolch in der Faust dastehen. »Wem gilt das, o mein Sohn,« rief sie ihm zu, »was ist aus Ghülnas geworden?« »Dieses Eisen«, entgegnete er ihr, »hat mich soeben an einer Treulosen gerächt, die mich verraten hat!« »O wie groß ist dein Irrtum,« rief die Alte aus und weinte herzzerbrechend, »wieviel Tränen wird dich solches kosten; du hast ungerechterweise die liebenswürdigste und tugendhafteste aller Töchter
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