Tausend und ein Tag - Orientalische Erzählungen
Leiden so geschickt zu finden gewußt hatte, galt fortan in ganz Arabien mehr noch für den Arzt der Seele als für den des Leibes.
Das Abenteuer der Wesirstocher
Das Königreich Kaschmir beherrschte einst ein Fürst mit Namen Aladdin. Der war Vater einer Tochter, die ohne Einwand die vollkommenste Schönheit des Orients gewesen wäre, wenn ihr nicht die Tochter seines Wesirs den Rang streitig gemacht hätte. Man sprach im ganzen Morgenlande nur von den göttlichen Reizen, mit denen die beiden Prinzessinnen begabt waren. Mehrere Könige waren auf Grund ihres Rufes für sie entflammt und trugen Verlangen, sie als Gattinnen heimzuführen. Es wäre schwierig gewesen, zu entscheiden, welche der beiden Schönheiten die vollkommenste war; aber sei es Vorurteil, sei es, daß die Wesirstochter weniger stolz und menschenfreundlicher als ihre Nebenbuhlerin war und deshalb die Herzen der Menge gewonnen hatte: aller Stimmen waren für sie.
Die Königstochter empfand einen so heftigen Schmerz, Ghülnas – dies war der Name der Wesirstochter – sich vorgezogen zu sehen, daß sie in eine tödliche Schwermut verfiel. Ihr besorgter Vater ließ Ärzte kommen; aber die versicherten ihm, die Krankheit der Prinzessin rühre von einem geheimen Kummer her.
Der König drang in seine Tochter, ihm ihr Herz zu eröffnen. Um sie dazu zu bewegen, versprach er ihr mit einem feierlichen Worte, ihr alles gewähren zu wollen, so sie wünschte, und sollte es die Hälfte seines Königreichs kosten. Aladdins Tochter aber dachte anfangs nicht daran, die niedrige Eifersucht, die sie beseelte, zu offenbaren, zumal sie gerne sie vor sich selbst verborgen hätte. Doch gerührt ob der Zeichen der Zärtlichkeit, die ihr der Vater erwies, und des tiefen Schmerzes, den er bezeigte, konnte sie nicht länger widerstehen und erklärte ihm, daß Ghülnas die Ursache ihres Übels wäre, das nur durch die Entfernung der verhaßten Nebenbuhlerin weichen würde.
Aladdin suchte seine Tochter zu trösten und versicherte ihr, daß sie in kurzem nicht mehr von der reden hören sollte, die ihr den Kummer bereitet hatte. In der Tat rief er seinen ersten Beamten vor sich. »O Wesir,« sprach er zu ihm, »es tut mir leid, wenn ich dir befehlen muß, deine Tochter zu verkaufen; ich weiß, was es deinem Herzen kosten wird, aber das Leben meiner Tochter steht dabei auf dem Spiele. Das sagt genug; ich erwarte dieses Opfer von dem Eifer, den du mir immer bewiesen hast!«
Der bestürzte Wesir schwankte einige Zeit zwischen Vaterliebe und Ehrgeiz. Die letzte Leidenschaft trug schließlieh den Sieg davon und erstickte die Stimme der Natur. Ein Rest von Scham hinderte ihn jedoch, seine Tochter öffentlich feilzubieten. Um dieser Schande zu entgehen, beschloß er, sie in einen Koffer einzusperren; und nachdem dies geschehen war, ließ er einen Ausrufer kommen und sprach zu ihm: »Du sollst diesen Koffer um vierzigtausend Aspern verkaufen; jedoch mache ich zur Bedingung, daß der, der ihn erwirbt, ihn nimmt, ohne nachzusehen, was er enthält!« Der Ausrufer bemühte sich vergeblich, die Befehle des Wesirs auszuführen; die Bedingung, die der an den Kauf geknüpft hatte, schreckte alle Liebhaher ab. Ein junger Wasserträger aber, der gewitzigter war als die andern, vermutete ein Geheimnis dahinter und erbot sich, den Kauf zu wagen, borgte sich von einem befreundeten Kaufmanne die festgesetzte Summe und trug, nachdem er den Ausrufer bezahlt hatte, den Koffer in seine Wohnung.
Nichts vermag seine Überraschung noch seine Freude auszumalen, als er sich eifrig an das Öffnen des Koffers herangemacht hatte und ein junges Mädchen von hinreißender Schönheit darinnen sah. »O liebliche Huri,« sprach er zu ihr, »denn du bist zweifellos eines der berühmten schönen Mädchen, die zur Freude der Erwählten in der anderen Welt dienen – durch welches merkwürdige Ereignis bist du in diesen Koffer gekommen?« Die Tochter des Wesirs wollte sich ihm nicht zu erkennen geben und antwortete: »Du siehst eine Unglückliche vor dir, die das Elend verfolgt; das Los hat mich zu deiner Sklavin gemacht, ich hadere deswegen nicht; du sollst an mir all die Unterwerfung und Treue sehen, die ich dir schulde!«
Die liebenswürdige Ghülnas hatte zu viel Reize, als daß ihr Herr nicht deren Macht verspürt hätte. Sie war seine Sklavin, und er konnte an ihr nach seinem Willen handeln; doch zeigte er in seiner Verliebtheit eine Zartheit der Gefühle, die ihn über seinen Stand erhob. Wenn sein Glück
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