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Tausend und ein Tag - Orientalische Erzählungen

Titel: Tausend und ein Tag - Orientalische Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anonymer Verfasser
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daß ich keinen Glanz finden kann, der dem der Sonne gleicht, wenn du lebst, der du das Strahlenauge und die Sonne deiner Herrschaft bist, so meine ich denn, kommt es auch keinem andern zu, die zu besitzen und zu beherrschen. Und wiewohl ich nun all das, was du mir aufträgst, pünktlich ausführen möchte, mag es jedoch niemals geschehen, daß ich dir noch bei deinem Leben, dem unser Herr lange und glückliche Jahre hinzufügen möge, in der Herrschaft nachfolgen soll. Wenn es aber dereinst geschieht, daß der Herrgott dich zu sich ruft, will ich mir solches zu Herzen nehmen und gemäß deiner weisen und heiligen Ratschläge gebieten, so gut ich es nur vermag, und mich der Gerechtigkeit befleißigen und das Reich in Furcht vor der göttlichen Erhabenheit beherrschen und verwalten!«
    Ob solcher Antwort seines klugen Sohnes wurde der König gar sehr getröstet und fröhlich, da er bei dieser ersten Prüfung in ihm die Tugend gefunden hatte, die einen weisen und maßvollen Fürsten ziert; und indem er zur Stunde die Zufriedenheit seines Herzens verbarg, gab er seinem Sohne den Abschied; er wollte auch die andern beiden der gleichen Prüfung unterwerfen und rief den zweiten sogleich vor sich, redete zu ihm die gleichen Worte wie zum ersten und erhielt von ihm solche Antwort:
    »O mein Gebieter, lang und glücklich möge deine Herrschaft währen, und es möge dir unser Herrgott Noahs Alter verleihen; sage mir bitte, ob eine Ameise, die eben ihr kleines Kämmerlein verläßt, imstande ist, ein großes Reich zu beherrschen und zu verwalten? Was bin ich anders, als ein schwaches und kleines Ameislein? Wie könnte ich die Sorge um ein so großes Reich auf mich nehmen? Hat des ferneren mein Bruder, dein ältester Sohn, der dir rechtmäßig in der Herrschaft folgen muß, nicht ein frisches und gesundes Leben?«
    Mit solch schneller und kluger Antwort seines zweiten Sohnes war der König außerordentlich zufrieden und dankte dem Herrgott demütiglich und frommen Herzens, daß er ihn zum Vater solcher Kinder gemacht hatte; er beurlaubte dann auch diesen von sich und ließ den jüngsten vor sein Angesicht treten und trug ihm die gleiche Rede vor, die er schon den andern vorgetragen hatte; der Jüngling aber antwortete und begann solcherart zu sprechen:
    »Wie kann ich, o mein Gebieter, dem die göttliche Erhabenheit viele glückselige Lebensjahre verleihen wolle, wie kann ich, sage ich, der ich noch ein zartes Knäblein bin, eine so schwere und wichtige Sorge auf mich nehmen? Ich komme mir vor wie eine Art kleiner Wassertropfen, dein Reich aber scheint mir einem weiten und unendlichen Meere zu gleichen, wie sollte es da möglich sein, daß ich ein so großes Reich nach Gebühr verwalten könnte? Da du aber weißt, daß ich noch ein Kind bin, so spottest du meiner und legest mir etwas so Gewichtiges auf, um einen Spaß mit mir zu treiben. Wenn ich auch noch ein Kind bin, o Gebieter, habe ich doch, Gott sei Dank, so viel Verstand, daß ich mein Können und meine Kräfte und meine Schwächen kenne, und merke, daß du jedenfalls Spaß mit mir treibst. Wenn solches nicht zutreffen sollte, habe ich dann nicht zwei ältere Brüder, denen du die Last der Herrschaft aufbürden könntest?«
    Ob solcher gescheiten Antwort des Knaben staunte der Vater im höchsten Staunen, und da er in ihm eine bewundernswerte Geistesschärfe entdeckte, wurde er dessen unsagbar froh.
    Nachdem er nun auf solche Weise durch das stattgefundene Gespräch mit allen seinen drei Söhnen den großen Fortschritt erfahren hatte, den sie in der Wissenschaft gemacht, und die klugen Gedanken und verständigen Antworten, die sie gegeben hatten, beschloß er, auf daß sie in aller Weisheit vollkommen würden, sie auszuschicken, die Welt anzusehen, um die Verschiedenheit und die Gebräuche und Sitten vieler Völker mit demselben Eifer zu schauen, mit dem sie sich schon den Inhalt der Bücher und die Unterweisungen der Lehrer zunutze gemacht hatten. Und nachdem er sie andern Tages vor sich entboten hatte, heuchelte er, über die Maßen erzürnt zu sein, und tat, als ob er schwer daran trüge, daß keiner ihm hatte gehorchen wollen, um die Last seines Staates auf sich zu nehmen, und redete also zu ihnen:
    »Da keiner von euch meinen Befehl hat ausführen wollen, wessen ich mich wahrlieh nicht versehen hatte, so macht, daß ihr in einem Zeiträume von acht Tagen außer den Grenzen meines Reiches seid, sintemal ich keine ungehorsamen und verruchten Kinder mehr in ihm haben

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