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Tausend und eine Nacht, Band 4

Tausend und eine Nacht, Band 4

Titel: Tausend und eine Nacht, Band 4 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gustav Weil
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Frau des Jägers führte mich in ein schönes Zimmer und stellte mir Speisen und Wasser vor; ich aß und trank und hüpfte in der Stube umher, spielte mit der Frau und ihren Töchtern, sprang bald dieser, bald jener auf den Schoß, bis der Jäger wieder zurückkam, da verbeugte ich mich und blieb ehrfurchtsvoll vor ihm stehen. Sowohl der Jäger als seine ganze Familie gewannen mich bald so lieb, daß sie nie mehr ohne mich ausgingen. Auf der Straße hatte ich meine große Freude daran, die Hunde zu plagen: Dem einen schlug ich die Flügel ins Gesicht, den anderen biß ich in den Rücken, und wenn sie sich umdrehten und bellten, flog ich davon; auch die Katzen neckte ich so lange, bis sich keine mehr vor mir sehen ließ. Bald sprach man in der ganzen Stadt von mir, viele Leute kamen zum Jäger, um mich zu sehen und mit mir zu spielen, und ein jeder brachte mir etwas Gutes zum Essen mit. Nach einiger Zeit hörte auch der König so viel von meinem Verstand, daß er einen seiner Diener zum Jäger schickte und ihn bitten ließ, mich ins Schloß zu bringen. Der Jäger nahm mich unter den Arm und trug mich zum König. Ich verbeugte mich dreimal vor ihm, wie es seine Untertanen zu tun pflegten, so daß alle seine Veziere und Adjutanten ausriefen: »Bei Gott, das ist ein wunderbarer Vogel.« Als darauf der König seine Hand nach mir ausstreckte, küßte ich sie mit meinem Schnabel und setzte mich bescheiden zu seinen Füßen, aber er hob mich zu sich auf seinen Schoß, streichelte meinen Rücken, ließ einige süße Speisen bringen und sagte: »Komm, kluger Vogel, iß mit mir!« Ich schüttelte schüchtern meinen Kopf, um damit anzudeuten, ich verdiene eine solche Ehre nicht, aber der König sagte nochmals: »Iß nur, freundlicher Rabe!« Da griff ich nach den Süßigkeiten, bis ich satt war, dann putzte ich meinen Schnabel an meinen Federn ab. Dies ergötzte den König so sehr, daß er mich dem Jäger abkaufte und mich stets in seiner Nähe behielt. Eines Tages, als der König etwas später als gewöhnlich in sein Harem ging, fragte ihn seine Gattin, warum er sie so lange allein lasse? Er antwortete: »Ich habe einen Raben, der so klug ist, wie ich noch nie einen Vogel gefunden, er hat mir heute so viel Spaß gemacht, daß ich mich ganz vergaß.« Da sagte die Königin: »Und warum zeigst du mir nicht auch einmal diesen Vogel? Bei Gott, ich habe schon so viel von ihm gehört, daß ich längst wünschte, ihn auch einmal zu sehen; ich wagte es nur nicht, dich darum zu bitten, weil du seiner nie erwähntest.« Der König befahl einer Sklavin, mich zu holen, und als sie mich brachte, sagte er: »Herzenstrost«, denn diesen Namen hatte er mir schon längst gegeben, weil ich ihn in mancher trüben Stunde durch meine Scherze erheiterte, »unterhalte einmal diese Damen ein wenig.« Ich fing an, allerlei Späße zu machen, der einen küßte ich die Wangen, der anderen zog ich das Tuch vom Hals, die dritte zupfte ich an den Locken, der vierten tanzte ich auf dem Schoß herum, bis sie alle vor Lachen sich kaum mehr aufrecht erhalten konnten. Die Königin hatte so viele Freude an mir, daß sie durch eine Sklavin ihren Töchtern sagen ließ, sie möchten doch auch kommen, um an ihrer Unterhaltung mit dem Raben teilzunehmen. Nach einer Weile erschienen drei Mädchen von bezaubernder Schönheit und stolzer Haltung, und kaum hatte die älteste von ihnen einen Blick auf mich geworfen, als sie zu den beiden anderen sagte: »Bei Gott, dieser Rabe ist ein verzauberter Mensch!«
    Die Mädchen faßten mich scharf ins Auge und riefen: »Du hast recht, teure Schwester, das ist sonderbar.« Sie baten dann ihre Mutter, ihnen zu erlauben, mich mit sich auf ihr Zimmer zu nehmen, und als sie es erlaubte, sagte mir die älteste Prinzessin: »Folge mir, ich will dir etwas zeigen, das verdient, aufgezeichnet und bis zum Auferstehungstag nicht vergessen zu werden.« Sie führten mich dann in ihr Zimmer zu ihrer alten Erzieherin, welche noch von Amalekiten abstammte und ihre Lehrerin in der Zauberkunst war, und sagten ihr: »Verehrte Mutter, hier bringen wir dir einen Raben, den irgend ein böser Mensch verzaubert hat; willst du nicht einmal sehen, ob du ihm helfen kannst?« Die Alte, welche ein sehr schwaches Gesicht hatte, bat sie, da es schon anfing dunkel zu werden, einige Lichter anzuzünden, dann riß sie mir einige Federn aus, betrachtete meine Haut und rief: »Ich erkenne an diesem Raben die Zauberkraft der alten Feirusadj, Erzieherin der blauen

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